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Willkommen beim zweiten Teil meiner Serie über spirituelles Leben in allen Bereichen. Heute möchte ich mich dem Thema "Elternschaft" zuwenden, da es nach den Zweierbeziehungen den nächsten persönlichen Bereich darstellt.


Außerdem gibt es kaum ein Thema, das bei den Beteiligten so viele Fragezeichen erzeugt, wie Familie. Geht es nach unserem kollektiven Ego, dann wünschen wir uns alle eine handliche Gebrauchsanweisung für Kindeserziehung, die so praktisch ist wie eine Anleitung von IKEA und so leicht zu lesen wie ein Bilderbuch.


Und auch wenn so manche skurrile Ratgeber wie "Jedes Kind kann schlafen lernen" dir vorgaukeln, dass es Patentrezepte gibt, möchte ich gleich an dieser Stelle klarstellen, dass du damit hier an der falschen Adresse bist.


Denn der Kern spiritueller Elternschaft besteht darin, alle Überzeugungen, Mythen und Schnellschüsse bzw. alle Wünsche, Kinder möglichst schnell funktionsfähig zu machen, liebevoll - aber doch - hinter uns zu lassen.


Und wie auch beim letzten Mal, möchte ich auch diesmal die bekannten und egolastigen Überzeugungen, die wir alle kennen, jenen gegenüberstellen, die eine spirituelle Elternschaft ausmachen. Na gut, solltest du noch immer da sein, dann lass uns einfach loslegen!



Beziehung statt Erziehung



Wenn du mich als Vater und Lehrer nach Erziehungstipp fragst, wirst du als erstes von mir hören, dass du sie entsorgen sollst, die Erziehung.


Warum?


Das hat damit zu tun, dass alles, was wir mit Erziehung verbinden, in eine Richtung geht, die weder uns als Eltern noch unseren Kindern gut tut.


Das Einzige, was Erziehung auch heute noch immer verkörpert, ist ein Machtgefälle von den Eltern zu den Kindern, und eine Rechtfertigung für elterliche Willkür aufgrund von Ratlosigkeit und der Möglichkeit, die eigene Macht über unsere Kinder missbrauchen zu können.


Sorry, wenn das jetzt ein wenig hart daherkommt, aber für mich ist Erziehung, wie sie sowohl im privaten als auch im institutionellen Rahmen (also Kindergarten und Schule) eingesetzt wird, nichts anderes als ein Symptom von Ohnmacht und Angst.


Darum gibt es nur eine Alternative, die auch im Sinne einer spirituellen Elternschaft funktioniert: Die Sprache ist von Beziehung.


Zeigst du den Mut als Elternteil zu Beziehung, dann verlierst du zwar Sprüche wie "Solange du die Füße unter meinem Tisch hast...", oder "... weil ich es sage!", aber dafür gewinnst du eine völlig neue Qualität der Bindung zu deinen Kindern.


Denn wenn du auf Beziehung setzt, wirst du zwar mitunter mehr kommunizieren müssen, oder sogar diskutieren, aber dafür werden sich deine Kinder in deiner Gegenwart einfach wohlfühlen.


Und natürlich gelten in diesem Fall viele der Merkmale, die ich dir bereits letzte Woche in den Geheimnissen einer spirituellen Partnerschaft (einfach auf den Titel klicken) ans Herz gelegt habe, wie z.B. dass du deine Erwartungen gehen lässt.



Gleichwürdigkeit statt Unterdrückung



Schon sind wir bei jenem Begriff, der dir näher beschreiben kann, worum es hier wirklich geht.


Spirituelle Elternschaft kann nur funktionieren, wenn du bereit bist, zu deinen Kindern auf Augenhöhe zu gehen.


Das bedeutet, dass du das Statusdenken, das dir dein Ego einreden möchte, gleich entsorgen darfst. Somit ist es nicht mehr möglich, dich auf dein Alter zu berufen, dein Geld oder einfach deine körperliche oder geistige Überlegenheit, um deinem Kind klarzumachen, dass es nur dann etwas zu sagen hat, wenn du das zulässt.


Und auch wenn dieses Modell in vielen Elternhäusern bereits als überholt angesehen wird, gibt es immer wieder Situationen, in denen sich auch die aufgeklärtesten und liebevollsten Eltern herausnehmen, über ihrem Kind zu stehen, weil es ihnen einfach reicht.


Doch auch wenn alle Eltern - inklusive mir - das sehr gut verstehen können, kann ich dich trotzdem nicht aus dem Dilemma entlassen, dass es absolut keinen Grund geben kann, einen anderen Menschen, egal wie alt er ist, oder welchen Status er hat, als unter dir stehend zu betrachten.


Jesper Juul - seinerseits berühmter (und leider schon verstorbener) Pädagoge - hat dafür den Begriff der Gleichwürdigkeit eingeführt.


Damit ist gemeint, dass wir als Eltern einfach der Versuchung widerstehen sollten, die Würde unserer Kinder zu missachten, nur weil wir das aus unserer Überlegenheit heraus können.


Für mich hat dieses Menschenbild mein komplettes Sein als Lehrer und Vater für immer verändert. Meine erwachsene Tochter beschwert sich deswegen heimlich darüber, dass dieser Sinneswandel für sie ein wenig zu spät kam, aber ich hoffe, sie kann mir verzeihen, dass ich bei ihr noch nicht so weit war, als ich sie auf ihr Zimmer schickte, weil ich nichts mehr hören wollte.



Unterstützung statt Strafe



Klara zu bestrafen, war etwas, dass - so weit ich mich erinnern kann - tatsächlich nur einmal vorgekommen ist. Meine jüngeren Kinder und auch meine Schüler können sich nicht einmal vorstellen, dass ich so etwas überhaupt in Erwägung ziehen könnte.


Ins Zimmer gehen, Handyverbot, Hausarrest, oder sonstige "erzieherische" Maßnahmen wurden und werden teilweise noch immer als legitime Mittel gesehen, Kinder zu disziplinieren und sozusagen zur "Vernunft" zu bringen. Selbst körperliche Gewalt von Seiten der Eltern oder Pädagogen wurde in meiner Kindheit noch als Normalität gehandelt.


Und auch wenn es nachwievor Zeitgenossen gibt, die davon sprechen, was ihnen alles nicht geschadet habe, waren sie als Kinder nicht so hart, wie sie sich jetzt gerne geben.


Denn für Kinder ist jede Form der Gewalt, sei es physisch oder psychisch etwas, das ihnen nachhaltig solch Schaden zufügen kann, dass sie noch als Erwachsene mit gewissen Situationen in ihrem Leben Schwierigkeiten haben.


Denk nur an die vielen Menschen, die noch immer ein seltsames Gefühl haben, wenn sie eine Schule betreten müssen, obwohl sie längst als Eltern das Gebäude betreten.


Jede Form der Strafe ist nur aus der Perspektive der Angst, also des Egos, logisch und vernünftig. Denn das Ego begründet seine gesamte Weltsicht aus der Angst.


Das heißt: Wenn du dafür sorgen willst, dass deine Kinder sich möglichst auch noch als Erwachsene unzulänglich und unglücklich fühlen, dann greife ruhig auf Strafen zurück.


Wenn du aber ein Leben lang ein liebevolles Verhältnis zu deinen Kindern haben willst, und ihnen den Start ins Erwachsenenleben erleichtern möchtest, dann habe ich etwas anderes für dich.


Bei den meisten Dingen, die schiefgegangen sind, wie dass z.B. etwas kaputt ging, oder dein Kind mit einer schlechten Note nach Hause kommt, fühlt sich dein Nachwuchs ohnehin schon nicht wohl in seiner Haut.


Das bedeutet, Kinder brauchen Unterstützung von dir, damit sie nicht glauben, deiner Liebe nicht mehr würdig zu sein. Das bedeutet nicht, dass du die Umstände gut finden musst, um trotzdem für dein Kind da zu sein.



Liebe statt Bedingungen



Schon sind wir beim zentralen Thema aller Spiritualität. Denn auch für Eltern ist die Liebe die einzige Wahrheit, die alles andere zu Nebenschauplätzen werden lässt.


Als du dein Kind als Baby auf dem Arm gehalten hast, wirst du genau gespürt haben, wovon ich hier spreche.


Und auch wenn deine Tochter oder dein Sohn vielleicht sogar einen Kopf größer sind als du, hat sich in Sachen Liebe absolut nichts geändert.


Liebe kann nur bedingungslos sein.


Soll ich es wiederholen? Okay: Liebe kann nur bedingungslos sein.


Elterliche Konditionalsätze und Regeln, die ihre Zuneigung an gewisse Zustände und Verhaltensweisen knüpfen, haben mit Liebe rein gar nichts zu tun.


In den meisten Fällen sind sie nur Ausdruck einer zunehmenden Angst von Eltern, dass ihnen alles zu viel wird, und sie nichts anderes wissen, als ihre Unsicherheit auf ihre Kinder zu projizieren.



Vertrauen statt Kontrolle



Wenn Eltern anfangen, sich selbst nicht mehr zu trauen, dann erweitern sie dieses Misstrauen natürlich auch auf ihre Kinder.


Nach der Mangeldevise "Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser" schwingen sich Eltern gerne zu jener Selbstgerechtigkeit auf, die ihnen das "Recht" verleiht, ihren Kinder hinterherzuschnüffeln und ihre Privatsphäre zu verletzen, weil sie ja nur das "Beste" im Sinn haben.


Die Überzeugung, besser zu wissen, was für Kinder gut ist, stammt natürlich aus der Baby und Kleinkindzeit, wird aber selbst bei fast erwachsenen Jugendlichen auch noch gerne strapaziert.


Dabei ist es nicht nur aus spiritueller Sicht offensichtlich, dass nur Vertrauen die Basis bilden kann für ein Miteinander, dass liebevoll auf Gegenseitigkeit beruht.


Ich kann mich noch gut daran erinnern, als meine Kinder Max und Hannah noch kleiner waren, und mein Sohn, der um vier Jahre älter ist, seine kleine Schwester dazu animiert hat, vom Stockbett zu springen, nachdem er anscheinend auf dem Boden Polster und Decken ausgebreitet hat. Ich habe damals der Versuchung widerstanden, nachzusehen, weil mein Herz mir sagte, dass ich vertrauen kann. Und ich bin dankbar, dass ich diesem Impuls gefolgt bin.


Also, wenn dich dein Kind danach fragt, ob du seine Hausübung kontrollieren kannst, ist das etwas völlig anderes, als seine Sachen zu durchsuchen.



Verantwortung statt Gehorsam



Schließlich sollte es doch das Ziel aller Eltern sein, dass ihre Aufgabe sich erledigt, weil ihre Kinder ihr Leben wunderbare alleine bewältigen können.


Doch vom "Bravsein" kommt das sicherlich nicht.


Wusstest du, dass es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Ungehorsam und Verantwortung gibt? Das oft reproduzierte Milgram-Experiment, bei dem Menschen von Autoritätspersonen dazu angehalten wurden, andere Personen zu verletzen, zeigte immer wieder, dass nur jene, die einfach gehorchten, bereit waren zu solchen Grausamkeiten.


Die Begründung dafür war immer wieder das, was unsere Großeltern-Generation in Sachen Nationalsozialismus anführte. Nämlich, dass sie Befehle ausgeführt haben.


Menschen, die einfach "brav" sind und unwidersprochen gehorchen, sehen die Verantwortung für ihr Handeln nicht bei sich selbst, sondern bei jenen, die ihnen sagen, was zu tun ist.


Dahingegen sind es jene unbequemen Zeitgenossen, die nicht einfach das tun, was man ihnen sagt, die bei sich selbst die Verantwortung für ihre Handeln sehen.


Du siehst, wir können, wollen wir unseren Kindern auf ihrem spirituellen Weg helfen, sie nur dabei unterstützen, selbst zu denken, und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, selbst wenn uns diese als Eltern nicht gefallen.



Präsenz statt Abwesenheit



Das heißt aber wiederum nicht, dass du dich aus dem Leben deiner Kinder völlig verabschieden sollst.


Wovon ich spreche ist der Umstand, dass dadurch, dass sich viele Eltern überfordert fühlen, oder nicht mehr wissen, was nun das Richtige sei, sich aus ihrer Verantwortung als Eltern versuchen, zurückzuziehen.


Das Ergebnis sind Phänomen wie "Wohlstandsverwahrlosung" oder Eltern, die selbst ihre 3jährigen Kinder fragen, wo sie nun essen hingehen sollen.


Oder eben jene Eltern, die bemerken, dass ihre jugendlichen Kinder, einfach nicht mehr das tun, was sie ihnen sagen, und sie sich dann gleich gar nicht mehr für ihre Belange interessieren.


Wenn Kinder etwas immer brauchen, egal wie alt sie sind, dann ist es Präsenz. Oft reicht es schon, dass du einfach wissen willst, wie lange dein Kind fort sein wird, wo es hingeht, mit wem und wann es nach Hause kommt, um ihm zu signalisieren, dass es dir wichtig ist.


Gerade als Lehrer in der Oberstufe bemerke ich immer wieder, wie sehr gerade Jugendliche die Nähe von Erwachsenen suchen, die sie wirklich sehen und annehmen können.



Vorbild statt Predigt



Hast du auch schon bemerkt, dass das, was du sagst, bei deinen Kindern nicht einmal bei einem Ohr reinkommt, und schon gar nicht beim anderen heraus?


Immer wenn wir als Eltern versuchen, eine Rede zu schwingen, die unserer Meinung nach so bedeutend ist, wird sie in den meisten Fällen bei unseren Kinder nur ein Augenrollen auslösen.


Viel entscheidender als all unsere Predigten, ist das, was wir leben, also wer wirklich sind, jenseits dessen, wie wir uns gerne darstellen.


Es ist tatsächlich unsere eigene Spiritualität, die wir leben, die wahrscheinlich vielmehr Spuren hinterlässt, als alles, was wir so von uns geben.


Somit ist es deine Entscheidung, ob du der Angst deines Egos in deinem Alltag mehr Platz einräumst, oder doch der Liebe deines wahren Selbst, die den Unterschied macht. Auch für deine Kinder.


Dazu gibt es ein plastisches Kurzvideo einer Kampagne, die 2013 in Australien ausgestrahlt wurde:




Schüler UND Lehrer


Der Moment, da wir Eltern werden, verändert für uns alles. Aber nicht, weil wir auf einmal eine Rolle innehaben, die neu ist. Sondern wir werden daran erinnert, dass der Kern der Liebe, die uns alle ausmacht darin besteht, für einander da zu sein und einander zu dienen.


Wenn du vor allem mit Kleinkindern zusammen bist, merkst du schnell, dass all das, was sie an egobelastetem Wissen nicht haben, noch Raum lässt für die Weisheit unseres gemeinsamen Bewusstseins, das durch sie fließt.


Deswegen dürfen wir als Eltern dankbar sein, dass wir und unsere Kinder gleichzeitig die Rollen als spirituelle Lehrer und Schüler einnehmen dürfen.



Mittlerweile gehe ich sogar davon aus, dass ich mehr von meinen Kindern lernen darf als umgekehrt. Denn selbst jetzt, wo auch Hannah (meine Jüngste) an der Schwelle zum Teenager steht, liefern sie mir alle immer ausreichend Lektionen, und das vor allem über mich.


Denn wenn uns als Mensch etwas nicht verlässt, dann ist es der Umstand, dass wir gerade auf jene unsere eigenen Schatten projizieren, die uns nahe stehen.


Somit wird spirituelle Elternschaft zum kosmischen Geschenk, dass dir mehr Weisheit auf deinem Weg servieren kann, als jedes Buch oder jeder Kurs. Es hängt nur davon ab, ob du bereit bist, es anzunehmen.


In Liebe,

dein Wolfgang


PS: Es freut mich - wie immer - von dir zu hören, unter wolfgang.neigenfind@visionbord.com, egal ob du mir etwas sagen möchtest, oder eine Frage hast, oder du vielleicht sogar ein Gespräch mit mir wünschst, weil du auf deinem spirituellen Weg Begleitung wünscht.


Außerdem kann ich nicht über spirituelle Elternschaft schreiben, ohne auf mein Buch "Familienpuzzle" zu verweisen, das dir hilft, dich in das Thema noch weiter zu vertiefen. Wenn du auf den Titel klickst, kannst du auch noch ein Exemplar bei mir oder im qualifizierten Buchhandel ordern.


PPS: Das bereits 1977 erschienene Lied "Menschenjunges" von Reinhard Mey verkörpert in jeder Hinsicht, das was spirituelle Elternschaft für mich ausmacht. Da gibt es nicht viel zu sagen, außer dem Wunsch, dass du dich darauf einlässt...