
"Normal ist eine Illusion. Was normal für eine Spinne ist, ist Chaos für die Fliege."
Charles Addams
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Eine 2018 veröffentlichte Studie von Forschern an der Universität von Yale kommt zu dem Schluss, dass die Vorstellung eines normalen Gehirns nicht haltbar ist, weil wir uns alle so differenziert entwickelt haben, dass wir unmöglich von einem Standardgehirn ausgehen können. Lediglich der Kontext, also die Umwelt entscheidet, welche Normen für uns gelten.
Im heutigen Blogbeitrag möchte ich dir erklären, warum normal für niemanden mehr eine Option sein sollte, und was eigentlich hinter dem Wunsch nach der Rückkehr zur Normalität steckt. Außerdem will ich dir zeigen, warum wir ohne Normalität viel besser dran wären.
Obwohl wir das Wort "Normalität" sehr gerne und häufig in den Mund nehmen, ist es eigentlich ein sehr unklarer und nicht festlegbarer Begriff. Vielleicht ist dies auch der Grund dafür, warum wir so gerne davon sprechen. Schließlich lässt sich die "Normalität" einiges gefallen, und ist allen zu Diensten, selbst wenn zwei Menschen genau gegenteiliger Meinung sind.
In der klassischen Definition gibt es eigentlich drei Normen:
Die statistische Norm orientiert sich an der Mehrheit, sprich am Verhalten, das am häufigsten auftritt. Diese Norm wird oft herangezogen, ist aber äußerst problematisch, weil sie automatisch seltene Verhaltensweisen bzw. Minderheiten in den Bereich des Abnormalen stellt.
Wie schnell die Orientierung an der Mehrheit zum kollektiven Irrsinn mutiert, sieht man an Beispielen, wie dem Nationalsozialismus. Also, funktioniert das mit der statistischen Norm nicht so wirklich.
Die ideale Norm wiederum orientiert sich daran, was in einer Gesellschaft als wünschenswert betrachtet wird. In diesem Zusammenhang brauchst du nur darüber nachdenken, inwiefern du von dieser Norm abweichst, z.B. in Sachen gesunder Ernährung, Idealgewicht, etc., um zu merken wie unbrauchbar diese Norm eigentlich ist.
Viele Kulturen haben einander widersprechende Vorstellung, was wünschenswert ist, und wenn du noch den Faktor Zeit dazu nimmst, wird das Ganze nur mehr zur Farce.
Aufgrund der Mängel der bereits erläuterten Normbegriffe, hat sich in den letzten Jahrzehnten die funktionale Norm als Richtschnur etabliert. Bei dieser orientiert sich Normalität an dem, was für dich persönlich passend ist, was dir für dein Leben gut tut.
Klingt schon verlockend. Aber wir alle wissen, wie schnell wir mit der Gemeinschaft, sprich dem Gesetz in Konflikt kommen würden, wenn wir uns nur an der funktionalen Norm orientieren würden.
Du siehst, dieses Spielchen könnten wir ewig betreiben. Das liegt vor allem an dem Umstand, dass Normalität ein Spiegel der Menschheit ist. Und die ist bekanntermaßen immer schon alles andere als eindeutig und vor allem widersprüchlich und paradox.
Spätestens seit Woody Allen stellt sich deshalb unsere Welt immer wieder die Frage: "Was ist schon normal?"
Diese Unverbindlichkeit, die sich auch in einer Welt des Wertepluralismus widerspiegelt, führt aber erst recht zu einer Verunsicherung der Menschen, und das in allen Lebensbereichen, was wiederum den Wunsch nach Normalität erst recht bestärkt.
Irgendwie scheinen wir alle in einem Labyrinth der Beliebigkeit gefangen, das ein Vakuum erzeugt, dem weder Religion noch die Politik noch Leben einhauchen können. Kein Wunder, dass so manche Gesellschaften und Kulturen in ihr ethnozentrisches oder mythisches Weltbild des Fundamentalismus und Dogmas zurückfallen, um wieder simple Antworten zu erhalten.
Doch scheint das für die westliche Welt - Gott sei Dank ;) - seit der Aufklärung absolut keine Option mehr zu sein. Trotzdem sprechen zumindest die meisten den Wunsch nach einer Normalität aus, von der sie selbst nicht wissen, wie sie aussehen soll.
Die Crux liegt ja im oben angeführten Zitat von Charles Addams über die Spinne und die Fliege. Auf diese Weise kommt es schnell zum gnadenlosen Wettbewerb von verschiedenen Modellen an Normalität, bei der jene die Nase vorne haben, die genug Macht und Geld haben, ihre Vorstellungen durchzusetzen.
Das geht soweit, dass sich auch Widerstand breitmacht gegen jegliche Norm. Diese Reaktanz, wie dieses Phänomen genannt wird, besteht dann in der Ablehnung gegen all jene Ideale, die als Bevormundung daherkommen, selbst wenn sie eigentlich zum Wohl aller gedacht sind.
Verwirrender wird die ganze Geschichte noch, wenn du bedenkst, dass der Wunsch nach Normalität, im Prinzip nur eine Sehnsucht nach Regression darstellt, also nach einem Zurück in eine frühere Entwicklungsstufe. Dabei stellen sich die Menschen aber Dinge vor, die keineswegs die erlebte Vergangenheit widerspiegeln, sondern eine verklärte und überhöhte Version der Vergangenheit. Du hattest sicher auch schon einmal die Fantasie, wieder ein Baby zu sein, dass sich von allen verwöhnen lässt. Dass dieses Bild nichts mit deiner tatsächlichen Vergangenheit als Säugling zu tun hat, interessiert dabei niemand.
Zusammenfassend können wir also festhalten, dass wir erstens gar keine Ahnung haben, was jetzt Normalität wirklich sein sollte. Viele orientieren sich dabei nur am Verlangen ihres Egos, dass alles andere als ein guter Berater ist, weil es chronisch unzufrieden ist. Zweitens sind manche normaler als andere, sprich sie können ihre Normalität den anderen aufzwingen. Drittens, sind Wünsche nach Normalität nur eine feuchte Fantasie nach einem Zustand von Verantwortungslosigkeit, die für Erwachsene nicht wirklich geeignet ist.
Wenn wir uns anschauen, wie verfahren die Geschichte mit Normalität eigentlich ist, sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, den Begriff einfach aus unserem Denken und Wortschatz zu streichen. Und dafür gibt es auch gute Gründe.
Abgesehen davon, dass es DIE Normalität nie gegeben hat, ist die Orientierung an der Vergangenheit eine Negation des Lebens selbst. Also, wenn du nicht vorhast schon zu sterben, solltest du nicht gegen das wesentliche Prinzip des Lebens arbeiten, denn das funktioniert einfach nicht. Ich spreche von Veränderung.
Die einzige Konstante im Leben ist Veränderung. Erst wenn du dieses Prinzip annehmen und verinnerlichen kannst, hast du eine reale Chance auf eine glückliche und zufriedene Existenz. Und dort wo Veränderung ist, haben strikte Normen keinen Platz.
Regeln und Dogmen halten uns nur in der Illusion des Leidens. Mittlerweile sollten aber schon die meisten von uns verstehen, dass wir erst eine grundlegende, positive Veränderung der Welt herbeiführen können, wenn wir unser Bewusstsein auf ein höheres Niveau bringen können.
Höheres Bewusstsein findet aber jenseits von Regeln statt. So wie schon Lehrer wie Jesus versucht haben, uns von alten Dogmen zu befreien, als er gegen die 10 Gebote wetterte, so kannst du nur in der Verantwortung deines eigenen Bewusstseins zu dem finden, dass sich alle Menschen wünschen, wenn sie nach Normalität rufen: Zufriedenheit, Glück, Gelassenheit und Liebe.
Je bewusster du nämlich wirst, je öfter du es schaffst, die absolute Verbindung zu allem zuzulassen, desto weniger Bedürfnis nach Regeln oder Normen wirst du verspüren. Bewusstsein ist immer absolut und vollkommen. Auf diese Weise wird sich die Frage oder Sehnsucht nach Normalität von selbst erledigen.
Auch du kannst deinen Beitrag leisten, indem du bei dir selbst beginnst. Wenn du achtsam und bewusst in dein Leben gehst, wirst du nicht nur die Geister in deinem Kopf los, sondern du trägst tatsächlich dazu zu einer lebenswerteren und nachhaltigeren Welt bei, die das Wort "Normalität" gar nicht mehr kennt.
Ich hoffe, meine Gedanken zur Normalität haben dich zumindest zum Nachdenken und Hinterfragen gebracht. Wenn du diese mit mir teilen willst, freue ich mich auf Post von dir, unter wolfgang.neigenfind@visionbord.com. Ich kann dich auch gerne auf deinem Weg zu mehr Bewusstsein begleiten, wenn du das möchtest. Melde dich einfach für ein unverbindliches Gespräch.
Alles Liebe,
dein Wolfgang
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PS: Die Britin Natasha Bedingfield schrieb den Song "Unwritten" im Jahr 2005 für ihren damals 14jährigen Bruder, um ihm zu zeigen, dass die Zukunft nur das ist, was er daraus macht. Ähnlich sollten wir mit dem Begriff der Normalität umgehen. Nicht umsonst singt Bedingfield:
I break tradition
Sometimes my tries are outside the lines
We've been conditioned to not make mistakes
But I can't live that way