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Ich weiß nicht, ob du auch bereits einmal so ein Erlebnis hattest, dass dir gezeigt hat, dass Moral und Recht auf Papier etwas völlig anderes sind, als das, was wir tatsächlich erleben. Für mich gab es bereits mehrere solche Ereignisse in meinem Leben.


Nur bin ich eigentlich Mitglied der privilegiertesten Gruppe auf diesem Planeten, weil ich ein weißer Mann über 50 bin. So gesehen ist es für mich gar nicht völlig vorstellbar, wie es sein muss, Frau, Zugehöriger einer Minderheit oder Flüchtling zu sein.


Deswegen kann ich heute nicht anders, als in ein Wespennest zu stechen. Ich möchte dir nahebringen, warum das, was wir als Recht und Moral bezeichnen, zwar nach außen hin den Eindruck erweckt, als wäre alles in Ordnung, aber beide eigentlich nicht funktionieren, oder sogar nicht funktionieren können.



Gleich und gleicher



Sieh dich um! Wir leben in einer Gesellschaft, die so tut, als müsse sie uns davon abhalten, das Falsche zu tun. Dabei ist es die Kultur, in die wir sozialisiert wurden, die uns zeigt, wie wir nicht sein sollten.


Kinder lernen vor allem am Vorbild der Erwachsenen, dass Schein wichtiger ist als Sein, dass Lügen notwendig ist, und dass Sucht und Abhängigkeit nicht nur in Ordnung, sondern wichtig sind, um die Wirtschaft am Laufen zu halten und uns selbst etwas vorzumachen.


Man könnte meinen, wir alle haben die gleichen, unveräußerlichen Rechte, unabhängig davon, wer wir sind, welches Geschlecht wir haben, woher wir kommen, oder wie alt wir sind.


Doch du wirst sicherlich selbst die Erfahrung gemacht haben, dass dies nicht mehr ist als ein Lippenbekenntnis.


Auch wenn wir inzwischen Rechte für alle etabliert haben, leben wir kaum welche davon.


Nimm nur die Art und Weise her, wie wir Kinder behandeln. Erziehung wird eigentlich nur dazu benutzt, um Machtverhältnisse zu etablieren.


In Familien bedeutet das, dass Eltern, wenn sie nicht mehr weiter wissen, sich gerne darauf berufen, das Sagen zu haben. Dasselbe gilt für Schulen, in denen Kinder nachwievor nur dann eine Chance haben zu bestehen, wenn sie sich der faktischen Macht des Systems unterordnen.


Als wäre dies nicht genug, erleben wir dasselbe Spiel als Erwachsene am Arbeitsplatz, wenn uns Vorgesetzte oder Chefs klarmachen, dass andere Auffassungen nur toleriert werden, wenn sie den über uns in der Hierarchie Stehenden auch gefallen.


Somit leben wir in allen Schichten der Gesellschaft immer noch in Systemen, in denen jene, die weiter oben oder an der Spitze stehen, ihre Macht dazu benutzen, ihre eigene Position durchzusetzen, oder sich einen Vorteil zu verschaffen.



Misstrauensvorschuss



Wenn du dir ansiehst, welche Berufsgruppen für Recht und Ordnung verantwortlich sind, dann sind das vor allem jene, die in der Öffentlichkeit nicht gerade den besten Ruf besitzen.


Politiker und Anwälte erhalten dementsprechend einen gehörigen Misstrauensvorschuss.


Denn die einen stehen in Verdacht, nur so zu tun, als wären sie redlich, während die anderen allen Ernstes dafür bezahlt werden, Lücken in der Rechtsordnung zu finden, um mit allen Mitteln bestimmte Interessen durchzusetzen.


Zurecht bringt das schon lange niemand mehr mit Moral in Verbindung, was genug über das Sittenbild unseres Rechtsstaates aussagt.



Recht als Unmöglichkeit



Eigentlich könnte man doch meinen, dass es doch möglich sein müsste, eine Rechtsordnung auf die Beine zu stellen, die für alle in Ordnung ist.


Doch Menschen und ihre Egos gehen da ganz andere Wege. Beispiel gefällig? Der Großteil der Unterzeichner der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, dachte bei den universellen und unveräußerlichen Rechten für jeden Menschen, nicht einmal an die Möglichkeit, dass z.B. Schwarze überhaupt als Person gesehen werden können.


Und im Prinzip zeigt das schon das Grundproblem auf. Die Absicht ist viel gewichtiger als das Papier, auf dem Bestimmungen verewigt werden.


Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass erst das Bedürfnis nach Recht das Unrecht in die Welt gebracht hat. Denn erst wenn wir definieren, was rechtens ist, kann von jenen, die an der Macht sitzen, auf vermeintliches Unrecht verwiesen werden.


In einer Zeit, die vor allem durch Überregulierung besticht, wirst du keinen Staatsbürger finden, der noch keine Gesetze übertreten hat, und das teilweise ohne sein Wissen.


Und solltest du dich jetzt fragen, ob nicht ohne dieses Recht, Willkür herrschen würde, möchte ich dich nur auf die Jahre der Pandemie verweisen, oder darauf dass es vor allem Anwälte und Politiker sind, die dir dein Eigentum entwenden können, mit dem Recht auf ihrer Seite.


Ich bin mittlerweile zutiefst davon überzeugt, dass Gerechtigkeit per se unmöglich ist, und alles, was wir als Regeln, Gesetze und Rechtssysteme etabliert haben, vor allem dazu da sind, Unrecht und Ungerechtigkeit am Leben zu erhalten.


Das Leben kann nicht fair sein, weil dies eine Kategorie der Angst unseres Egos ist, das nur den Mangel kennt, und somit nicht anders kann, als das Gefühl zu haben, zu kurz zu kommen.


Darum werden auch alle Gruppen, die sich zurecht diskriminiert fühlen, auf der Ebene des Rechts nie das erreichen, wonach sie suchen. Weil dort, wo der Dualismus bestimmt, es immer damit enden muss, dass jemand den Kürzeren zieht, jemand benachteiligt wird, jemand verliert.


Somit ist Recht nur in Kombination mit Unrecht zu haben, und Gerechtigkeit nur mit Ungerechtigkeit. Das bedeutet, wir haben ein System etabliert, dass in der Grundprämisse bereits das unmöglich macht, was es vorgibt, erfüllen zu können.



Moral als Unmöglichkeit



In Goethes Faust diskutiert ganz zu Beginn Gott mit dem Teufel. Und beide reden aneinander vorbei. Weil Gott aus der Fülle der Liebe argumentiert und Mephistopheles aus dem Mangel der Angst.


So kommt der Teufel auch zu dem Schluss, dass der Mensch das Vernunft nennt, was er dazu benutzt, tierischer als jedes Tier zu sein.


Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard meinte dazu, dass die Sünde erst durch die Sünde in die Welt gekommen ist. Was im Prinzip bedeutet, dass wir erst fehlbar werden, wenn wir etwas wie Moral ins Spiel bringen, die uns fehlbar macht.


Die Menschheit hat dasselbe Problem wie Mephistopheles. Sie sieht sich selbst nur durch die Defizitbrille, in der wir nie genügen können.


Somit wird Moral zum Gradmesser unseres kollektiven Versagens. Und auf diese Weise zwingt erst die Etablierung von Moral uns dazu, uns zu verleugnen, andere zu verdammen, und vor der Wahrheit zu fliehen.


Es ist im Prinzip dieselbe Geschichte wie beim Recht. Erst durch Moralität können wir uns erhöhen und andere verurteilen oder gar bestrafen.


Denn wenn wir genauer hinsehen, ist Moral vor allem der Gehilfe der Macht, die sich mit ihrer Hilfe legitimiert, indem sie anderen ihre Fähigkeit, das Richtige zu tun, abspricht. Und dies kann nicht enden, da selbst jene, die sich an Machtpositionen befinden, in die Falle des Leidens gehen.


Am Verheerendsten wirkt sich das aus, wenn Religionen mitmischen, und allen Ernstes im Namen der Liebe Hass, Gewalt und Diskriminierung verbreiten.


Das ist nur möglich, weil der Mensch auf Verstandesebene für alles eine Logik und Rechtfertigung findet. So ist es auch möglich, dass ethische Kommissionen befinden, dass Mord sowohl auf privater als auch auf staatlicher Ebene nicht nur legal sondern auch ethisch vertretbar ist.



Das eigentliche Problem



Wenn Philosophen wie der US-Amerikaner John Rawls versuchen, eine Theorie der Gerechtigkeit für eine Zivilgesellschaft aufzustellen, die auf Vernunft und Logik basiert, können sie nur scheitern.


Das ist auch der Grund, warum du - außer du hast Philosophie studiert - den Namen John Rawls wahrscheinlich noch nie gehört hast.


Wie ich dir bereits erläutert habe, können wir in dem Sumpf aus Angst und Unzufriedenheit, in der wir sitzen, uns nicht wie Baron Münchhausen befreien, indem wir uns am eigenen Schopf herausziehen. Dieses Vortäuschen, Heucheln und Geschichten erzählen, haben wir ja ohnehin lang genug, erfolglos betrieben.


Der entscheidende Faktor, ist einer, den wir niemandem verordnen noch erzwingen können. Ich spreche von unserem Bewusstsein.


All das, was ich gerade geschrieben habe, wird für viele Menschen eine Mischung an Bullshit Bingo und Drogenfantasie daherkommen, weil sie ein völlig anderes Verständnis davon haben, wie unser Dasein abläuft.


Personen, die all ihre Prinzipien lediglich aus der Ebene des physischen und materiellen Seins beziehen, werden all das, was ich noch anführe, nicht einmal ansatzweise auch nur in Erwägung ziehen können.


Und auch wenn wir alle bemerken, dass sich etwas tut in Sachen Bewusstsein, werden wir alle wahrscheinlich doch noch viel Geduld brauchen, um das, was ich in den nächsten Absätzen anführe, tatsächlich als gesellschaftlichen Common Sense zu erleben.


Somit ist mir auch klar, dass unser jetziges System insofern eine Berechtigung hat, weil es das ist, was unser aktuelles Bewusstsein widerspiegelt.


Das heißt aber nicht, dass, wie ich bereits erwähnt habe, es keine Veränderung gibt, oder du nicht Teil dieser Veränderung sein kannst. Selbst wenn dich das noch immer in eine brenzlige Lage bringen kann.


Doch solltest du - wie ich - zu jenen gehören, die das System von innen heraus auflösen wollen, und sich damit in Teufels Küche bringen, kannst du dich vielleicht damit trösten, dass wir in wirklich liebevoller Gesellschaft waren und sind. Doch um unser aller Ego nicht zu befeuern, erspare ich uns die dazu passende Namensliste.



Zurück zum Start



Nachdem wir selbst bewiesen haben, dass unser System aus Recht und Moral nicht funktionieren kann, weil es aus einer fehlerhaften Prämisse heraus formuliert wurde, brauchen wir also eine neue Voraussetzung.


Und da können wir nicht anders, als in der Spiritualität zu landen. Denn erst wenn wir ins Metaphysische wechseln, also dem Bereich jenseits der herkömmlichen Wahrnehmung, finden wir Ebenen, die uns aus dem führen können, was Immanuel Kant einmal als die selbstverschuldete Unmündigkeit bezeichnete. Auch wenn er in Folge auf das Pferd der Aufklärung setzte, die uns erst recht in die größten Katastrophen der Neuzeit geritten hat.


Schaffen wir den nächsten Schritt in ein Zeitalter des Bewusstseins, dann können wir uns von dem Bedürfnis nach Recht und Moral verabschieden.


Denn wenn der Grad unseres Erwachens als Gradmesser unserer Entwicklung gesehen wird, dann ist auch die Präsenz und somit die Liebe, die zur Voraussetzung von dem werden, was wir als Wahrheit sehen.


Ironischerweise ist das ja eigentlich genau das, was alle spirituellen Lehrer seit Jahrtausenden verbreiten. Nur hat das kollektive Ego es geschafft, die Botschaft völlig zu verkehren. So wurde aus Jesus Apell der Nächstenliebe nicht nur ein Prinzip, das alle Menschen verdammt, sondern auch noch Kriege und Vernichtung in seinem Namen rechtfertigte. Dasselbe passierte im Islam. So bedeutet "Dschihad" eigentlich nichts anderes, als das Bemühen und die Anstrengung - trotz Hindernissen - zur Liebe zu finden.


Darum kann Liebe erst zur globalen Kategorie werden, wenn der Boden - in Form eines Bewusstseins - dafür da ist.


Und auch wenn es jetzt für dich so wirken könnte, als wäre, das was du tun kannst, wie der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein, beginnt Bewusstsein und somit die Liebe bei jedem einzelnen von uns.


Wenn du bereits erlebt hast, dass Liebe die einzige Wahrheit ist, die uns als Absicht ins Licht führen kann, dann weißt du auch, dass bereits dein aufrichtiges Bestreben bei dir zu bleiben, sehr viel verändern kann. Und das nicht nur für dich.


Denn selbst wenn du dich nur auf deinen Seelenfrieden konzentrierst, wird deine Präsenz in deiner Umwelt Wellen schlagen. Wenn ich zum Beispiel betrachte, dass ich als Einzelperson nicht nur als Autor, sondern auch als Lehrer so viel Staub aufwirbeln kann, dann kannst du sehen, dass jeder liebevolle Akt des Bewusstseins von Bedeutung ist. Für dich und uns alle.


Das Schönste an der Liebe ist nämlich ihre Klarheit und Einfachheit. Sie zeigt sich in jedem Moment, den du bereit bist, zu erleben. Sie kommt aus der Fülle and tut nichts anderes als sich ständig zu verschenken. Und sie ist dementsprechend für alle da. Ohne Bedingungen. Sie kennt keine Schuld, kein Versagen, und keine Wertung.


In diesem Sinne ist es auch die Liebe, die die Illusion der Trennung auflöst, die uns erst dazu gebracht hat, die Notwendigkeit für Moral und Recht zu sehen. Wir sind gemeinsam auf dem Weg, auch wenn dir dein Ego eine andere Geschichte erzählt.


Deswegen ist es tatsächlich für uns zu wunderbar um wahr zu sein, solange wir mit einem Ohr auf unser Ego hören.


Solange du es schaffst, präsent zu sein, im Moment, gibt es nichts, das du tun musst, und alles ist getan.


Und selbst wenn du als Mensch immer wieder vom Weg abkommst, ist es die Liebe, die dich nicht nur auffängt, sondern erhält und dich wieder zur Wahrheit zurückführt, die uns alle liebt.


Auf der Ebene des Bewusstseins der Liebe brauchen wir niemanden, der uns erklärt, was Recht und Unrecht ist. Wir brauchen niemanden, der uns Moral erklärt. Weil die Wahrheit offensichtlich ist. Ohne komplizierten Erläuterungen oder Regeln.


Im Prinzip werden alle Worte überflüssig. Was bleibt ist der Augenblick, der perfekt ist, weil er ist. Und wir mit ihm.


In Liebe,

dein Wolfgang


PS: Wenn du deine Gedanken mit mir teilen möchtest, oder du Fragen hast, freue ich mich, wenn du dich bei mir meldest. Ich stehe auch gerne für ein Gespräch zur Verfügung oder kann dich gerne auf deinem Weg zu mehr Präsenz begleiten. Schreib mir einfach, unter wolfgang.neigenfind@visionbord.com.


PPS: 2015 nahm Soundgarden und Audioslave Sänger Chris Cornell sein viertes Solo Album auf, inklusive dem Title Track "Higher Truth", der sehr deutlich zeigt, dass das, was wir bisher versucht haben, nicht funktioniert, und er für sich eine höhere Wahrheit bevorzugt.