"Man bleibt nur gut, wenn man vergisst!"
Friedrich Nietzsche
In unserer schwarz-weiß gefärbten Welt findet sich kaum Platz für all die Schattierungen von Grau. Und so werden bestimmte Begriffe fast selig gesprochen, während andere kaum Chance haben, Ruhm zu ernten. Nimm nur einmal die Welt des Gedächtnisses her.
Sich etwas zu merken ist der absolute Burner. Dahingegen hat "Vergessen" ein klares Loser Image. Und so verbinden wir fast ausnahmslos Positives mit der Fähigkeit, sich an etwas lückenlos erinnern zu können, und dementsprechend sehen wir das Vergessen großteils als Niederlage.
Heute möchte ich dir aber von einer Seite dieser ungeliebten Aktivität unseres Gehirns berichten, die für uns nicht nur wesentlich, sondern auch eine entscheidende Rolle hat, dabei, dein Glück zu finden.
Die Ursache für die Schieflage in Sachen Vergessen ist hauptsächlich in unseren Vorstellungen immer besser, schneller und höher zu werden, zu finden. So ist Schulerfolg vor allem an der Fähigkeit bemessen, Informationen möglichst lückenlos abzuspeichern, um sie auf Knopfdruck wieder abrufen zu können.
Je mehr sich ein Mensch merkt, desto größere Bewunderung erhält er. Insgeheim träumen deswegen auch viele von einem fotografischen Gedächtnis für sich, das ohne großen Aufwand einfach alles abspeichert.
Unser Egotrip in Sachen Merkfähigkeit geht zuweilen sogar so weit, dass wir über Nachteile für uns nicht einmal nachdenken wollen, die wir damit in Kauf nehmen würden. Denn abgesehen von der Unfähigkeit zufrieden zu sein, wenn du auf diese Weise nach Wohlbefinden für dich suchst, übersehen wir dabei ganz die positiven Seiten des Vergessens.
Unser Gedächtnis kann nämlich nur dann optimal für uns arbeiten, wenn der Großteil jener Reize, die auf uns einströmen, wieder vergessen wird.
Menschen mit Autismus oder ADHS können ein Lied davon singen, wie belastend es sein kann, wenn zu viele Eindrücke es dir schwer machen, im Alltag klar zu kommen.
Deswegen ist es für unser Empfinden von Struktur und Überblick unerlässlich, dass eben bereits im Sensorischen Register, also dem Ultrakurzzeitgedächtnis, das Meiste wieder verworfen wird.
Denk nur einmal daran, wie belastend bereits jetzt die Menge an unkontrollierbaren Gedanken sein kann. Wenn du deinem Geist auch noch zusätzlich Material für Mindfuck lieferst, wirst du die Frequenz deines Grübelns sogar noch erhöhen.
Natürlich wollen wir auf der anderen Seite nicht alles vergessen, sodass wir nicht einmal den Alltag bewältigen können. Und Demenzerkrankungen wie Alzheimer sind nicht zu unterschätzen.
Doch kämpfen viele Menschen schon viel früher in ihrem Leben mit dem Gegenteil: Einem zwanghaftem Erinnern, das ihnen das Leben schwer macht.
Es beginnt harmlos. Mit dem Wunsch ein Ereignis nicht vergessen zu wollen, weil es so schön war. Doch bereits in diesem verständlichen Wunsch steckt der Keim für dein persönliches Unglück.
Denn wenn Menschen an der Illusion der Vergangenheit festhalten, haben sie bereits verloren, und zwar an Lebensqualität. Der Traum von der guten alten Zeit, von der unbeschwerten Jugend, der fröhlichen Kindheit, sie alle klingen harmlos, haben aber viel mehr Auswirkung auf uns, als wir das sehen wollen.
Wenn du z.B. an der Erinnerung an eine Beziehung festhältst, die in die Brüche gegangen ist, verweigerst du nicht nur die Realität, die längst weitergegangen ist, sondern du arbeitest direkt an deinem eigenen Unglück, der Unfähigkeit Freude zu empfinden, das Leben annehmen zu können.
Die nächste Stufe besteht darin, dass du dich so mit deiner Erinnerung verbindest, dass du dich quasi in sie verwandelst. Du wirst zu einer Identifikation deiner eigenen Vorstellung. So bist du auf einmal die Verlassene, der Mensch, der es schwer hat im Leben.
Auch andere, scheinbar harmlose Identifikationen sind nichts anderes als ein als Zuschreibung getarnter Wiederholungszwang, der uns auf jeden Fall einengt, aber oft auch unglücklich bzw. sogar krank macht.
Schon die Zuschreibung als Frau, Mutter, Tochter, oder Ehefrau kann aufgrund deiner damit verbundenen Erinnerung, dich in ein Dasein zwingen, das vor allem von Leid und Kummer geprägt sind.
Berücksichtigen wir dann auch noch die kollektive Erinnerung des Kulturkreises, in dem wir aufwachsen, kannst du dir vorstellen, dass gerade in Ländern wie Österreich oder Deutschland, die ausgerufene Schuld aufgrund der Ereignisse rund um den Holocaust, nicht gerade hilfreich waren.
So bewirkt der Ruf nach einem "Niemals vergessen!" eher das, was er zu verhindern versucht. Führt er ja gerade zu einer fast schon pathologischen Schuld, die eher genau wieder zu gescheiterten Bewältigungsmechanismen führen, wie Gewalt, Hass und Ausgrenzung.
Und schon wurde aus dem Traum der ewigen Erinnerung ein kollektiver Alptraum, den wir nicht loswerden. Angesichts sämtlicher pervertierter Schuldszenarien in den meisten Kulturen und Religionen, ist es fast schon verwunderlich, dass wir uns gegen diese Masse an verordnetem Schwachsinn überhaupt wehren konnten.
Aber nicht alle Menschen können sich aber aus den Fängen unseres kollektiven und individuellen Egos erfolgreich befreien. Für einige ist das Erinnern tatsächlich fast nicht zu ertragen. Sie sind in ihrem Trauma, in der Schleife einer furchtbaren Erinnerung, gefangen.
Solltest du selbst betroffen gewesen sein, oder einen Menschen kennen, der verzweifelt nach einem Ausweg aus der Hölle seiner Vergangenheit sucht, wirst du verstehen, warum das Vergessen so heilsam für uns sein kann.
Ohne Vergessen versperren wir uns die Tür zu Wohlbefinden und Glück. Du wirst nämlich gleich merken, dass es genau jene Aktivitäten, die uns zum Glück verhelfen, eines gemeinsam haben: Sie helfen dir zu vergessen.
Schon die Achtsamkeit im Augenblick verweilen zu können, braucht das Vergessen. Du kannst nur gegenwärtig sein, wenn du im Jetzt bist. Da gibt es keinen Spielraum für eine Vergangenheit.
Die Präsenz des Moments ist nicht belastet mit Schuld oder Gedanken, die dich leiden lassen. Deswegen fürchtet dein Ego nichts so sehr, wie deine Fähigkeit im Hier und Jetzt zu verweilen. Es hat in der Gegenwart keinen Platz. Und somit kannst du auch nicht leiden oder unglücklich sein, wenn du präsent bist.
Es ist das Loslassen, das dich von all deinen - sogenannten - Erfahrungen trennt. Oft glauben wir ja, dass wir die Summe des Erlebten sind. Dabei gibt es keine tragischere Illusion, als uns zum Produkt unserer Vergangenheit zu erklären.
Dauerhaftes Glück ist nur möglich, wenn du loslassen kannst, um im Moment sein zu können. Selbst die Sekunden, die gerade noch deine Gegenwart ausgemacht haben, sind bereits nichts anderes, als Sandkörner im Wind des Vergessens.
Hast du das verinnerlicht, bist du auch bereit, alle Schuld, als krankhafte Erinnerung, gehen zu lassen. Du kannst auf einmal verstehen, dass es Schuld nie gegeben hat. Weder in dir, noch in den anderen.
Die Illusion der Schuld ist im Prinzip genau so eine Geschichte, wie deine Lieblingsserie auf Netflix. Sie hat für dein Leben, und somit für dich keinerlei Bedeutung.
Du verstehst nun auch, warum Vergebung nicht nur einfach, sondern eigentlich gar nicht nötig ist. Denn dort wo es keine Schuld gibt, ist auch nichts zu verzeihen.
Nun kannst du vielleicht auch Nietzsches Zitat ganz oben verstehen. Denn es gibt nur einen Ort, wo du Liebe finden kannst, und zwar im Jetzt. Nur der Moment offenbart die Kraft und die Leichtigkeit, die die Liebe braucht, um sich entfalten zu können.
Selbst der Umstand der freien Entscheidung unterliegt denselben Kriterien. Denn ob du dein Leben als Freiheit der Wahl, oder als Fluch des Leidens empfindest, hängt von genau jenen Fähigkeiten ab, die ich dir soeben dargelegt habe.
Es ist nie zu spät, den Weg des Vergessens, den Weg des Glücks des Augenblicks, den Weg der Liebe zu gehen. Beginne einfach mit dem ersten Schritt!
Ich wünsche dir alles Liebe dabei, die Liebe zu finden. Wie du weißt, stehe ich dir gerne zur Seite. Du bist herzlich eingeladen, deine Erfahrungen oder was auch immer, mit mir zu teilen, oder mich um Rat zu fragen, unter wolfgang.neigenfind@visionbord.com.
In Liebe,
Wolfgang
PS: Auch auf die Gefahr hin, dass ich dir diesen Song einer meiner Lieblingsbands aus dem Jahr 2011 schon einmal ans Herz gelegt habe, kann ich nicht anders. "If not now, when....?" von Incubus passt einfach zu gut. Dein Vergessen, dein Loslassen, die in dem einen, einzigartigen Moment in Raum und Zeit enden. Im Jetzt.