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Wie geht es dir mit der Kultur, in die du hineingeboren wurdest? Viele Gründe dafür, dankbar zu sein? Bedeutet das, unsere Aufgabe besteht darin, den Status Quo einfach hinzunehmen? Sind wir nicht alle Teil der Kultur und somit auch wichtiger Bestandteil ihrer Verfasstheit?


Heute möchte ich mit dir Möglichkeit diskutieren, all das, was dich dazu bringt, dich genötigt zu fühlen, alles was sich als Zwang anfühlt, doch einmal hinter dir zu lassen, ohne gleich alle Zelte abbrechen zu müssen.



Der Mythos der sicheren Kultur

Viele von uns glauben ja, dass ihre Kultur ihnen Sicherheit und Geborgenheit garantiert. Und wenn sie sich dann aufgrund ihrer Unterordnung nicht gut fühlen, kommen sie nie auf die Idee, dass ihnen genau jenes Bedürfnis nach Sicherheit, all die Unsicherheit beschert hat.

 

Wie ist das möglich?

 

Dies liegt vor allem daran, dass uns die Gesellschaft als Vertreterin der vorherrschenden Kultur immer wieder vorgaukelt, eine Garantie dafür geben zu können, dass alles bleibt, wie es ist, und dass wir sicher sind.

 

Doch gerade die letzten Jahre haben allen gezeigt, dass keine Kultur der Welt, dir irgendetwas garantieren kann. Vor allem nicht Kontinuität. Es gibt nämlich nicht nur stetige Veränderung, sondern auch noch dazu jede Menge Brüche.

 

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Ob Inflation, Pandemien, Klimakrise, Krieg. Sie alle waren schon mehrmals da und versprechen uns auch noch, dass da noch mehr an Veränderung auf uns wartet.

 

Nur an dem festhalten zu wollen, was bisher gegolten hat, hilft niemandem, vor allem nicht denen, die diesen Schwachsinn auch noch glauben.

 

 

Kultur im Fluss

 

Wir täuschen ja gerne vor, als würden sich die Verhältnisse nicht verändern. Doch blicken wir ein paar Jahre zurück, bemerken wir erst, wie drastisch sich unsere Kultur verändert hat.

 

Meine Mutter musste in ihrer Kindheit noch zum Brunnen gehen, weil sie kein fließendes Wasser zu Hause hatte, und sie und die meisten anderen Kinder wurden regelmäßig geschlagen. In meiner Kindheit gab es kein Internet, keine Handys, und kein Fernsehprogramm, das rund um die Uhr lief. Und es wurde nicht nur überall geraucht, sondern Kinder konnten noch auf der Straße spielen, da so wenige Autos unterwegs waren.

 

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Oder nimm die Rolle der Frauen her. War es noch ein wesentlicher Nachteil Anfang des 20. Jahrhunderts, dass Frauen vom öffentlichen Leben und Mitsprache praktische ausgeschlossen waren, hat sich grundlegend sehr viel verändert, wenn auch nicht unbedingt zum Vorteil der Frauen. Wird doch heute vom weiblichen Bevölkerungsanteil erwartet, dass sie ihre traditionellen Rollen als Mutter und Hausfrau genauso nachkommen, und obendrein sollen sie auch noch Karriere machen, um Geld nach Hause zu bringen. Zum Drüberstreuen wäre es auch nicht schlecht, wenn sie sich um den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft kümmern; vor allem in Form von unbezahlter, gemeinnütziger Arbeit in diversen Vereinen. So überlebt z.B. die katholische Kirche heutzutage nur mehr dank all jener Frauen, die früher als nicht gut genug erachtet wurden, mitzumachen, und auch heute noch von allen offiziellen Ämtern ausgeschlossen werden.

 

Das war nur eines von vielen Beispielen, wie sehr sich Kultur verändert hat. Fest steht jedenfalls, dass Kultur auch kein Garant dafür sein kann, Bewährtes zu erhalten, oder dass es ihren Mitgliedern gut geht.

 

 

Kultur, die krank macht

 

Und wenn ich schon dabei bin, dir reinen Wein einzuschenken, muss ich gleich noch eines drauflegen. Ich gehe nämlich sogar soweit zu behaupten, dass Kultur uns krank machen kann, und ich spreche nicht nur vom Alkoholgenuss in Österreich, der fast schon verpflichtend ist.

 

Nichts kann nämlich so einschränkend und brutal sein, wie eine Kultur, die sich selbst verteidigt. Und ich meine jetzt nicht fundamentalistische Strömungen in anderen Ländern. Ich spreche von der guten, alten Heimat.

 

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Ironischerweise ist es eigentlich die Kultur, die uns das Fürchten lehrt. Denn nichts macht uns allen mehr Angst, als von der Gemeinschaft bloßgestellt oder gar von ihr verbannt zu werden.

 

Das setzt all ihre Mitglieder derart unter Druck, dass sie unter dem Konformitätszwang, der sich dabei aufbaut, leiden, oder sogar krank werden. Apropos: So will bei uns z.B. niemand zu oft krank sein, also schwach dastehen, oder nicht als nützliches Mitglied der Gemeinschaft gelten. Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, keine Funktion zu haben, setzen den meisten mehr zu, als sie es je zugeben würden. Vom Konsumdruck, immer mehr haben zu müssen, gar nicht zu sprechen.

 

Tja, so fühlen sich alle schlecht wegen genau jener Kultur, aus der sie nicht ausgeschlossen werden wollen, weil sie glauben, sich dann schlecht zu fühlen.

 

 

Das eigentliche Wesen der Kultur

 

Wie ich bereits anfangs angedeutet habe, vergessen wir alle, dass Kultur uns dienen sollte, nicht umgekehrt. Das erinnert mich an den Straßen- und Städtebau der letzten Jahrzehnte, der vor allem unserer Mobilität und unserem Fortschritt dienen wollte, aber nur auf eine winzige Kleinigkeit vergessen hat: Die Menschen.

 

Anders ist es nicht zu erklären, dass in sämtlichen Städten, Menschen fast schon als Fremdkörper bzw. Hindernis gesehen werden, gemessen an jenem Anteil an Flächen und dem Vorrang der Fahrzeugen zugemessen wird, verglichen mit dem spärlichen Raum, der z.B. Fußgängern eingeräumt wird. So haben wir es tatsächlich geschafft, unseren Lebensraum lebensfeindlich zu machen, in dem Bestreben, mehr Lebensqualität zu ermöglichen.

 

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Wenn nun Verantwortungsträger oder Institutionen Gehorsam und Konformität, bzw. Funktionalität von uns fordern, missbrauchen sie genau jenes Kulturgut, das eigentlich nur entstanden ist, unser Miteinander zu achten.

 

Doch du kannst deine Kultur nur hochhalten, wenn du Verantwortung für dein Handeln übernehmen kannst, weil du ansonsten deine Kultur negierst, als Ausdruck deiner Menschlichkeit. Kultur wird nämlich dadurch definiert, dass sie all das ist, was der Mensch zu schaffen imstande ist.

 

Interessanterweise können wir also erst ernstzunehmender Teil einer Kultur sein, wenn wir uns von ihr emanzipieren, oder gar gegen sie rebellieren, bzw. Ungehorsam auf unsere Fahnen heften.  

 

Natürlich gefällt das jenen nicht, die sich selbst zu den Wächtern dieser Kultur ausgerufen haben, sei es als Politiker, Geistliche, oder auch Eltern, Lehrern, etc.

 

 

Die kranke Kultur

 

Somit wirst du vielleicht auch verstehen, warum es uns allen nicht gut geht, wenn wir einfach tun, was von uns in unserer Kultur gefordert wird. Abgesehen davon, dass kulturelle Ansprüche nicht gerade durch Widerspruchsfreiheit glänzen. Frag einmal all unsere lieben Mitmenschen, die aus einer anderen Kultur hergezogen sind.

 

Doch selbst, wenn du diese Bürde nicht tragen musstest, wirst du bereits gespürt haben, dass da etwas ganz und gar nicht stimmen kann. Nimm nur unser aller Funktionalität her. Sind wir brave Bürger, die allen Anweisungen Folge leisten, um nicht anzuecken, merken wir schnell, dass das gar nicht möglich ist, weil viele Regeln einander widersprechen, und du, egal, was du tust, in Schwierigkeiten gerätst.

 

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Doch noch schwerwiegender ist der Umstand, dass du, jedes Mal, wenn du dich verbiegst, um zu entsprechen, deine Würde und Integrität so nachhaltig verletzt, dass du nicht nur in Konflikt mit Autoritäten gerätst, sondern auch noch mit dir selbst.

 

Das bedeutet für die meisten, dass sie sich chronisch unwohl fühlen in ihrer Haut. Noch dazu, weil sie in einer Gesellschaft leben, die auf Konsum aufgebaut ist, was wiederum bedeutet, dass ihnen von allen Seiten eingetrichtert wird, dass sie auf keinen Fall genügen.

 

Das Resultat sind eine Vielzahl an körperlicher und seelischer Erkrankungen, außerdem ein dysfunktionales Miteinander, in dem Familien auseinanderbrechen, Menschen aufeinander losgehen, oder einfach implodieren, indem sie unter all dem Druck nicht mehr funktionieren können. So ist es z.B. in meiner Schule so, dass die jährlichen Burn-Out Ausfälle nur noch deswegen ein Thema sind, weil es darum geht, wer die Verluste in ihrer Abwesenheit ersetzt.

 

 

Die Befreiung aus der Kultur

 

Tja, nun habe ich eine gute oder schlechte Nachricht für dich. Du kannst es dir aussuchen. Die schlechte lautet: Du musst dich aus der Kultur befreien. Die gute lautet: Du musst dich aus der Kultur befreien.

 

Du hast ja gesehen, dass der einzige Weg, dein persönliches Glück zu finden, darin besteht, deinen Anteil als Kulturschaffende wahrzunehmen, indem du deine Integrität in den Mittelpunkt rückst. Denn nur aus der Freiheit deiner Verantwortung kannst du die einzige Kultur achten, die uns allen gemeinsam ist: Die Menschlichkeit.

 

Du kannst dich jetzt fragen, ob du langsam dahinleiden möchtest, bis es kaum noch auszuhalten ist, oder ob du doch den Mut aufbringst, du zu sein. Ich kenne so viele Beispiele von Menschen, die das Pflaster endlich abgerissen haben. Und allen ist eines gemeinsam: Sie waren in ihrer Befreiung kaum wiederzuerkennen.

 

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Nehmen wir mich als Beispiel. Ich komme aus einer Familie von Untergrundrebellen. Meine Mutter konnte sich nie unterordnen, wenn ihr Vater versucht hat, ihr die guten, alten Werte des Patriarchats einzuprügeln. Dann traf sie auf meinen Vater, der auch nicht bereit war, das Gesetz über seine Menschenwürde zu stellen, was ihn als gerade als Polizist einmalig machte. 

 

Dann begegnete ich meinem Pfarrer und Religionslehrer, der mir nicht nur meinen besten Freund Jesus wieder vorstellte, sondern auch noch so authentisch seine Überzeugungen lebte, dass er als katholischer Priester, offen mit einer Frau zusammenlebte.

 

Ich hatte immer schon den Drang, nicht mit der Mehrheit mitzulaufen. So war es dann nicht verwunderlich, dass ich immer wieder Grenzen überschritten habe. Doch meine öffentliche Kreuzigung kam erst, als ich auf meine Seelenverwandte traf, die nicht nur meine Schülerin war, sondern auch noch 26 Jahre jünger als ich.

 

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Mittlerweile bemerke ich gewisse Blicke längst nicht mehr. Kommentare werden mir nicht mehr serviert. Und ich wurde nicht nur dazu gezwungen, Farbe zu bekennen, sondern ich erlebte die Freiheit, endlich ich sein zu dürfen.

 

Das bedeutet, dass ich mich prinzipiell nicht mehr mit Bullshit aufhalte. Ich tue, was ich will und mit wem. Ich schreibe einfach, was raus muss, ohne darüber nachzudenken, ob das gut ankommt, oder nicht. Ich habe entdeckt, dass ich Liebe und Glück in die Welt bringen will, und das tue ich jeden Tag. Überall.

 

Wenn ich als Lehrer eine Klasse betrete, begrüße ich alle, wie sie es wollen, per Handschlag oder Umarmung, und ich sage allen immer wieder, dass die einzige Regel darin besteht, dass es keine gibt.

 

Das ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was mein Leben so einmalig und wunderbar für mich macht. Und das alles nur, weil ich es einfach gewagt habe, meine Integrität und Würde als Ernstnehmen meiner Verantwortung zu leben.

 

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Und das Wichtigste: Was ist passiert? Wie hat die Kultur reagiert? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich habe Wichtigeres zu tun. Ich verbringe meine Zeit damit, allen Menschen, die meinen Weg kreuzen, klarzumachen, wie wunderbar sie sind.

 

Auch du bist gut genug, wie du bist. Und was ich kann, kannst du schon lange. Wie du siehst, bin ich nicht ausgestiegen, habe niemandem den Rücken gekehrt. Im Gegenteil. Ich versuche auch jenen die Hand zu reichen, die sie gar nicht wollen.

 

Ich weiß, dass die Welt davon profitiert, wenn du endlich du bist. Deswegen wünsche ich dir aus ganzem Herzen, dass du bereits auf dem Weg bist, du selbst zu sein. Auch kleine Schritte sind wichtig, solange du an dir dran bleibst. Du kannst dich auch gerne jederzeit mit Fragen an mich wenden. Ich bin auch gerne dazu bereit, dich auf deinem Weg zu begleiten. Melde dich einfach unter wolfgang.neigenfind@visionbord.com.

 

Alles Liebe, 

 

dein Wolfgang


PS: Aimee Manns Songs sind so nachhaltig, dass Thomas Anderson sich sogar entschied den Film "Magnolia" rund um ihre Songtexte zu kreieren. Einer dieser Tracks, ist das 1999 entstandene "Wise Up", dessen Botschaft so simpel, wie auch beeindruckend ist. Wenn sie singt, 'it's not going to stop, till you wise up", ist bereits alles gesagt. Anders gesagt, wenn du nicht bereit bist, dich dir zu stellen, wird es nicht aufhören. Bis du bereit bist, aufzugeben. Die letzten zwei Worte des Songs "give up!", kannst du interpretieren, wie du möchtest. Doch für mich ist es die Aufforderung, endlich loszulassen, was dir deine Kultur ein Leben lang aufgehalst hat.