Unser Leben ist eine Anhäufung von Ereignissen, die physische und psychische Spuren in unserem Dasein hinterlassen. Ein beträchtlicher Teil des Erlebten bleibt irgendwie an uns hängen. Wir verstauen es in unseren Schränken, im Keller, auf dem Dachboden, in unseren Herzen, im Gedächtnis, oder auch im Unbewussten. Viele von uns empfinden das, was sich da angesammelt hat, zunehmend als Last. Durchaus zurecht. Denn je mehr wir mitschleppen, desto größer der körperliche und seelische Ballast. Wie wäre es, wenn wir heute damit beginnen, uns von allem, was dein Leben so beschwerlich macht, zu befreien? In diesem Blog will ich dir dabei helfen, eine neue Sichtweise einzunehmen, und vielleicht sogar einen neuen Weg für dich einzuschlagen.
Eigentlich entstand der Minimalismus als Kunstrichtung in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Aber in den letzten Jahrzehnten etablierte sich eine ganz neue Minimalismus Bewegung als Lebensstil. Sie richtet sich vor allem gegen die Auswüchse des Konsumverhaltens. So haben einerseits Produkte eine immer kürzere Lebensdauer, und andererseits wird den Menschen verstärkt suggeriert, Neues zu kaufen.
Dieses Schema stammt vor allem aus der Computerbranche, in der es ja aufgrund des rasanten technischen Fortschritts täglich zu Veränderungen, in Form von Updates und Upgrades kommt. Und so wie die Software ständig erneuert wird, gibt es auch das neue passende Gerät (also die Hardware) dazu.
In den USA, hat dies bereits dazu geführt, dass der durchschnittliche amerikanische Staatsbürger gleich mehrere Kreditkarten besitzt, um sie belasten zu können. Das Ergebnis ist eine Kreditkartenverschuldung von bis zu 10000 Dollar pro Haushalt. Diese Situation hat eine Gruppe von Personen auf den Plan gerufen, die den Menschen dabei helfen wollen, ihr Leben zu entrümpeln, um wieder ein unbelastetes Leben zu führen. Und auch wenn in Österreich oder Deutschland nicht die Kreditkarten so sehr belastet werden, hat doch die Hälfte der Menschen Schulden.
Was aber meiner Meinung nach, mindestens genauso schwer wiegt, ist der Ballast an Personen und Dingen, die uns das Leben unnötig schwer machen, nur weil wir einfach nichts dagegen tun. Lass uns gleich den Selbsttest durchführen!
Falls du jetzt zu Hause bist, und das hier nicht gerade auf der Toilette liest, steh bitte auf und durchsuche den Raum, in dem du dich befindest, nach Dingen, die du schon mindestens 6 Monate nicht gebraucht hast. Vielleicht gibt es sogar Dinge, die du schon Jahre nicht mehr benutzt hast. Trage sie auf einen Stapel zusammen, und dann stell dir die Frage, warum du sie eigentlich noch hast.
Die meisten Menschen werden antworten: "Weil ich sie vielleicht irgendwann noch brauchen kann!" Schon während sie diesen Satz aussprechen, wissen sie, dass es Blödsinn ist.
Ein noch besseres Beispiel gefällig. Dann geh bitte zu deinem Kleiderschrank und öffne ihn. Muss ich wirklich noch mehr sagen? Oder ist es bei dir auch so, wie bei den meisten Menschen: Der Inhalt deines Schranks ist wie die Illustration des berühmten Pareto Prinzips. 20% deiner Sachen trägst du 80% deiner Zeit, bzw. 80% deiner Sachen trägst du nur 20% deiner Zeit. Oder gar nicht.
Das Ganze lässt sich auch wunderbar auf andere Bereiche deines Lebens erweitern. Ich sage nur Personen, Aktivitäten, Arbeit, etc. Ist es dir eigentlich schon mal in den Sinn gekommen, dass du vielleicht deswegen unter Zeitdruck stehst, weil du dein Leben zugemüllt hast, mit Tätigkeiten oder Menschen, die dir keine Freude bereiten, oder dich sogar belasten?
Jetzt, wo du sicherlich schon zumindest neugierig geworden bist, ist es an der Zeit, dir jene Prinzipien vorzustellen, nach denen wir dein Leben entrümpeln wollen. Beide haben sich bei praktizierenden Minimalisten bestens bewährt:
Wenn es um Dinge geht, ist, wie ich dir bereits oben angedeutet habe, ein sehr guter Hinweis, darauf, ob du etwas behalten solltest, die Häufigkeit, mit der du eine Sache benutzt, bzw. wann du sie zum letzten Mal benutzt hast. Natürlich gibt es Dinge, die du nur vielleicht einmal im Jahr benutzt, wie zum Beispiel den Hochdruckreiniger für die Terrasse.
Ich spreche natürlich von ganz anderen Dingen. Ich gebe dir ein Beispiel von mir. Als ich 2017 umgezogen bin, hatte ich relativ viele Bücher, aber nicht genügend Platz sie alle unterzubringen. Ich entschloss mich kurzerhand sie wegzugeben. Das hat wirklich gut getan. Denn alle Bücher, die ich noch besitze, habe ich tatsächlich gelesen und bedeuten mir etwas. Trotzdem werden manche wieder gehen müssen. Ich muss aber gestehen, dass ich noch lange nicht dort bin, wo ich hin möchte. So habe ich noch viele CDs herumstehen, obwohl ich nicht mal mehr eine CD Player besitze. Einerseits haben sie einen dekorativen Wert. Es gibt aber noch einige, die in einem Schrank verstaut sind, und nicht einmal zu sehen sind.
An Dingen aus sentimentalen Gründen festzuhalten, ist ja ganz herzig, aber überflüssig. Schließlich sind die Erinnerungen ohnehin in deinem Kopf, und die Lieder kann ich ohnehin noch hören, indem ich sie streame, was übrigens viel praktischer ist, als eine CD einzulegen.
Das zweite wichtige Prinzip, das dir bei der Entscheidung, ob du dich von etwas trennen sollst, helfen kann, ist der Wert, den dir die Sache oder die Person bringt. Frage dich einfach: "Bereichert dieses Ding, diese Person mein Leben wirklich?"
Es gibt ja Dinge, die unser Leben wirklich verschönern, wie zum Beispiel schöne Bilder, Pflanzen, aber auch Kleidungsstücke, die wir sehr gerne tragen. Und dann gibt es Dinge, die du nicht einmal ignorierst, die dir nichts bedeuten, die einfach da sind. Dies würde ich schon als Hinweis dafür werten, dass du sie entsorgen kannst.
Kommen wir nun zu all dem, was du eigentlich entrümpeln kannst. Denn auch wenn es sehr wichtig ist, deinen materiellen Besitz zu reduzieren, ist es meiner Erfahrung genauso wichtig, dich von all dem anderen Ballast in deinem Leben zu befreien.
Hier sind die wichtigsten Bereiche:
Also, beginne einfach damit, alles, was du schon mindestens ein halbes Jahr nicht benutzt hast, systematisch zu entfernen: Angefangen vom Waffeleisen, das du einmal und nie wieder benutzt hast, bis hin zu dem Kleid, das du noch nie getragen hast, weil es dir an dir nicht gefällt.
Du kannst auch einen spielerischen Zugang wählen. Starte mit deiner besten Freundin ein 30 Tage Challenge, bei der du jeden Tag ein Sache loswerden musst. Du kannst auch die fortgeschrittene Variante probieren: Am ersten Tag wirst du ein Ding los, am zweiten zwei, und so weiter.
Selbst wenn du nicht vorhast minimalistisch zu leben, wirst du auf jeden Fall davon profitieren, zu entrümpeln, mehr Struktur in dein Leben zu bringen, und auf diese Weise dein Konsumverhalten zu hinterfragen.
Kennst du "Momo" von Michael Ende? Da gibt es ja die Zeitdiebe. Kennst du welche in deinem Leben? Hast du dich schon einmal gefragt, welche Aktivitäten dein Leben absolut nicht bereichern? Gibt es etwas, das du tust, das dich mit einem Gefühl der Leere oder Ausgelaugtheit zurücklässt?
Hast du dich schon einmal beobachtet, wieviel Zeit du in sozialen Medien verbringst, oder wie lange du fern siehst, Serien guckst? Gibt es Dinge, die du tust, die für niemanden einen Wert haben, vor allem nicht für dich?
Aktivitäten zu entsorgen ist übrigens sehr umweltfreundlich. Du produzierst keinen Müll. Du hörst einfach auf damit. Das Schöne ist, dass du dir selbst etwas Gutes tust, indem du nichts tust. Ja, ich spreche auch von Dingen, die du zu dir nimmst oder inhalierst. Schon 5 Zigaretten pro Tag ergeben ca. drei Stunden pro Woche, die sicherlich sinnvoller genutzt werden, selbst wenn du nur still dasitzt und ruhig atmest.
Wieviele Gespräche mit anderen Personen waren für dich heute inspirierend, haben dich berührt, oder waren für dich von Bedeutung? Bist du vielleicht auch einer jener Menschen, die ihre Zeit an Menschen verschenken, die dir deine Energie rauben?
Versteh mich nicht falsch. Ich liebe alle Menschen, und finde sie faszinierend. Nur gibt es in unserem Alltag oft nicht genug Zeit und Raum, sich allen so anzunähern, dass du wirklich in die Tiefe gehen kannst. Viele halten sich aus Angst und Verletzlichkeit auch lieber bedeckt, und schon geht er los, der Small Talk.
Und dann gibt es jene Menschen, die du nur ansehen musst, und schon musst du lächeln. Jedes Gespräch hat auch persönlichen Wert für dich, und ihr habt immer mehr zu besprechen, als ihr Zeit dafür habt.
Deswegen mein Rat: Reduziere den Anteil der Kontakte zu der ersten Gruppe auf ein Minimum und erweitere deine Kontakte zu den Menschen, die dein Leben bereichern. Das wird wahrscheinlich dazu führen, dass du insgesamt dein Sozialleben eher einschränken wirst. Dafür kannst du dich wieder über gewonnene Zeit freuen.
Und wenn du doch wissen willst, wie das Wetter so ist, schau aus dem Fenster, frag Google oder Alexa.
Kommen wir zur Arbeit. Sehr heikles Thema. Ich weiß, ich weiß, du hast wirklich so viel zu tun. Im Gegensatz zu all den anderen Pseudos, die nur vorgeben gestresst zu sein. Ich war auch einmal so ein Opfer. Und das als Lehrer. Ich habe es sogar geschafft, meine Ferien mit Schulsachen vollzupflastern. Aber lassen wir mein dunkle Vergangenheit lieber ruhen.
Solltest du nicht zu den Menschen gehören, die nur das tun, was ihnen Spaß macht, das sie erfüllt, kann ich dir nur raten, einmal all die Tätigkeiten zu überprüfen, die du im Zusammenhang mit deinem Beruf so durchführst.
Ich bin mir sicher, da gibt es vieles, das du auch weglassen könntest, ohne gekündigt zu werden, bzw. ohne deine Effizienz zu verringern. Eher im Gegenteil. 20 mal am Tag Emails zu checken hat niemand nötig. Dich für etwas freiwillig zu melden, das du eigentlich nicht tun wolltest, auch nicht.
Frage dich, was an deinem Beruf, ist es, das dir wirklich Freude bereitet, und dann versuche, dich darauf zu konzentrieren, und alle anderen Bereiche auf ein Minimum zu reduzieren. Solltest du nichts finden, oder der überwiegende Teil dir keine Freude bereiten, dann solltest darüber nachdenken, deinen Job zu entsorgen. Nein, ich mache keine Scherze.
Last but not least kommen wir zu deinen Werten. Welche Glaubenssätze schleppst du mit dir herum, die sich wie Sondermüll in deinem Leben auftürmen? Was glaubst du tun oder sein zu müssen, um Erwartungen anderer zu erfüllen?
Auch wenn deine Werte nicht sichtbar sind, so können sie trotzdem der größte Hemmschuh in deinem Leben sein. Wir wollen ja dazu gehören, wir wollen ja gefallen. Kein Mensch ist eine Insel. Das heißt aber nicht, dass du ein fremdgesteuertes Leben führen musst, mit Werten und Regeln, die deine Eltern schon von ihren Eltern übernommen haben.
Da gibt es sicher auch wertvolle Ansätze darunter. So habe ich das Motto meines Vaters (er war Polizist), dass er immer mit Menschen gut auskommen kann, selbst wenn er sie verhaften muss, sehr gut gebrauchen können, und sogar in der humanistischen Psychologie eines Carl Rogers wiederentdeckt. Dann gibt es aber auch vieles, das ich in der Gesellschaft vermittelt bekommen habe, das ich längst entsorgt habe, vor allem, was man als Mann oder Frau so tut.
Wenn du in dich gehst, weißt du genau, was dir gut tut, was dein Herz möchte. Hab den Mut, jene Werte zu entsorgen, die dich ohnehin nur bremsen, und die dich daran hindern, du zu sein.
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Joshua Fields Millburn und Ryan Nicodemus sind zwei faszinierende Menschen. Beide wuchsen in sehr bescheidenen Verhältnisse auf, und schafften es sich eine tolle Position zu erarbeiten, mit viel Ansehen und einem hohen Einkommen. Nur haben sie schnell gemerkt, dass sie dem Glück immer noch vergeblich hinterher liefen, egal wie viele Sachen sie angehäuft hatten.
Deswegen haben sie die Minimalismus Bewegung ins Leben gerufen. Solltest du an ihrer faszinierenden Geschichte interessiert sein, schau dir die Dokumentation "Minimalism" auf Netflix an, die nicht nur die beiden vorstellt, sondern auch andere eindrucksvolle Beispiele von Menschen, die gelernt haben, sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Manche leben sogar in winzigen Häusern, und das freiwillig.
Als kleiner Einstieg habe ich Joshuas und Ryans Ted Talk für dich, um sie und ihre Idee näher kennenzulernen.
Wie du dir bereits vorstellen kannst, habe ich nicht vor, in den nächsten Wochen, in ein Tiny House umzuziehen. Trotzdem glaube ich, dass ich auch all das, was ich hier geschrieben habe, bei mir selbst versuche, anzuwenden. Als erstes werde ich meine erwachsene Tochter, die noch einen CD Player hat, fragen, ob sie meine CDs haben möchte.
In einigen Bereichen bin ich schon sehr weit gekommen, wie z.B. in der Arbeit. Immerhin schaffe ich es trotz Vollzeitjobs und Familie mit zwei Kindern, jeden Tag meiner Leidenschaft nachzugehen. Auf diese Weise tue ich mehr als je zuvor, aber das mit ganzem Herzen. Mittlerweile wache ich auch am Sonntag vor 6 Uhr in der Früh auf, um zu meditieren, und mich dann mit einer Tasse Tee an den Laptop zu setzen, um diese Zeilen hier zu schreiben.
Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du deinen persönlichen Weg findest, Ballast aus deinem Leben zu entsorgen, und über deine Konsumgewohnheiten nachzudenken. Ich würde mich freuen, wenn ich dir zumindest einen kleinen Schubs geben konnte. Wie immer, freue ich mich auf Post oder einen Kommentar von dir. Erzähl mir, wie du das so siehst, unter wolfgang.neigenfind@visionbord.com. Wenn du möchtest, kann ich dich auf deinem Weg zu einem minimalistischen, aber umso erfüllteren Leben auch gerne begleiten.
Alles Liebe,
dein Wolfgang
?PS: Das 2016 entstandene Lied "Suitcase" der australischen Sängerin und Songwriterin Sia bringt den minimalistischen Ansatz gut auf den Punkt, wenn sie singt:??
??Pack it all away, pack it all in one suitcase
I got all I need, all I need to be free