
Solange wir in einer Welt der Polaritäten von Gut und Böse, Richtig und Falsch, Recht und Unrecht leben, solange erleben wir Widersprüche in unserem Dasein, die sich nicht auflösen lassen.
Im heutigen Blog möchte ich dich in eine Existenz entführen, die nicht mehr das Entweder - Oder hochhält, sondern das Sowohl - Als auch, um dir eine Welt ans Herz zu legen, die jenseits dessen liegt, das uns letztlich nur fragend und unglücklich zurücklässt.

Im Grunde genommen gibt es zwei Gruppen von Menschen. Jene, die träumen und jene, die erwacht sind. Und unabhängig davon welche spirituelle oder so manch philosophische Tradition du heranziehst, werden sie dir alle dieselbe Geschichte erzählen.
Egal ob Tolteken, Hindus, Christen, Buddhisten oder Muslime, sie alle sprechen in ihrer Kernbotschaft davon, dass wir einer Täuschung erliegen, die uns dazu bringt, unser Leben als Leiden zu empfinden.
Ob wir es nun Maya nennen oder Sünde ist unerheblich. Viel entscheidender für uns ist, dass es zwei Weisen gibt, zu existieren. Die eine ist jene, der Illusion der Oberfläche völlig zu erliegen und sich mit ihr zu identifizieren, und die andere besteht darin, sich aufzumachen, jeden Moment zu einer Möglichkeit zu machen, von neuem zu erwachen.
Auch wenn wir diesen Augenblick, der uns aus dem Schlaf holt, genauso wenig bestimmen können, wie Dornröschen, das erst wachgeküsst wurde, kannst du - so wie im gerade genannten Märchen - davon ausgehen, dass es für uns alle diesen Moment gibt, und dass es wahrscheinlich bereits klar ist, wann er passiert.
Doch selbst, wenn wir uns aktiv dazu entscheiden, den spirituellen, also bewussten Weg zu gehen, erleben alle von uns immer wieder, dass sich unser Alltag - Illusion hin oder her - oft nur allzu wirklich anfühlt.
Wenn wir von Problemen, Aufgaben und Pflichten zugeschüttet werden, dann gibt es kaum jemanden, der nicht für sich denkt, dass es ihm egal ist, ob das Ganze real ist, wenn es uns unser Leben so schwer macht.

Doch zu sagen, ich lege mich wieder schlafen, indem du die blaue Pille schluckst wie der Held in Matrix, ist so, als würdest du nie wieder duschen, weil du ohnehin wieder schmutzig wirst.
Der Sinn unseres erwachenden Bewusstseins besteht ja genau darin, hinter die Illusion zu blicken, um eine neue Perspektive auf genau all jene Dinge einzunehmen, die uns das Leben vermeintlich so erschweren.
Hast du einmal erkannt, dass alles, was dir das Leben bietet, Teil derselben Geschichte ist, Teil desselben Spiels, dann kannst du auch damit beginnen, dich von allem zu lösen, indem du es nicht mehr zu einem Teil von dir machst.
Das bedeutet, dass du höchstwahrscheinlich damit beginnst, die Kultur, aus der du kommst, zu hinterfragen, ihre Überzeugungen und Glaubenssätze. Bis du letztlich sogar an deinen eigenen Gedanken zweifelst, die die ganze Zeit auf dich einströmen.
Dabei wirst du schnell bemerken, dass dein Menschsein dich nie völlig aus jenen absurden Situationen und Gedankenspielen entlässt, die der Grund sind, warum wir glauben, leiden zu müssen.
Doch irgendwann realisierst du, dass alles, was außerhalb und auch innerhalb von dir so abgeht, kein Grund ist, es für bare Münze zu nehmen, nur weil es dich heimsucht.

Bedenkst du nun, dass die meisten von uns in einer Welt leben, die den überwiegenden Teil ihrer Zeit damit verbringt, uns wieder zu verführen, an all den Schwachsinn zu glauben, der sie am Laufen hält, um unser Ego zu füttern, und uns bedürftig zu halten, dann ist es nicht verwunderlich, dass für viele von uns die spirituelle Reise eine mehr als holprige Berg- und Talfahrt darstellt.
Und so gibt es jene, die immer wieder so sehr vom Weg abkommen, dass sie regelmäßig das Gefühl haben, von vorne beginnen zu müssen, was irgendwann mehr als ermüdend ist.
Andere schwanken zwischen den Welten wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde, als wären sie zwei Wesen. Das sind jene Zeitgenossen, die für ihre Umwelt immer wieder eine Herausforderung darstellen, weil ihre Mitmenschen nie sicher sein können, mit wem sie es zu tun haben werden.
Und dann gibt es noch jene, die gar nicht bemerken, dass ihr Ego wieder das Kommando übernommen hat, indem sie ihren spirituellen Pfad dazu benutzen wollen, besser, erleuchteter oder erfolgreicher als andere zu sein.
Ich bin mir sicher, du hast dich jetzt irgendwann in deinem Leben in allen gefunden. Und das führt uns auch dorthin, wo wir erkennen, dass niemand von uns erhaben, aber auch niemand von uns verloren ist.

Wir alle sind auf dem Weg. Selbst jene, die schlafen und nicht einmal wissen, dass sie auf der Reise sind.
Ich teile dir das deshalb mit, weil uns dieses Bild den Blick auf das eröffnet, was sich tatsächlich als Wirklichkeit für uns anbietet.
Es gibt nichts zu gewinnen und nichts zu erreichen, außer der Erkenntnis, dass jedes Stück des Weges uns eine Chance bietet, es so achtsam und bewusst wie möglich zu erleben.
Somit ist die Erkenntnis, dass es kein Ankommen gibt auch keine schlechte, sondern eine wunderbare Nachricht.
Denn somit können wir nichts falsch machen, auch wenn wir danach streben, den Weg richtig zu gehen. Du merkst, die Sprache hängt hier in einem Dualismus fest, der uns nur in die Irre führen kann.
Für dich bedeutet das, jeder Versuchung, etwas festzuhalten, oder abzuwehren, zu widerstehen, um das Leben in seiner vollen Unglaublichkeit für uns anzunehmen.

Ram Dass, ein amerikanischer Vorreiter in Sachen Spiritualität, erzählte einmal davon, wie sehr in die Situation in gewissen Ländern das Herz zu brechen drohte. Woraufhin sein Guru nur meinte:
"Siehst du nicht, dass alles perfekt ist?"
Sätze wie dieser sind es, die es uns immer wieder vor Augen führen, wie weit unser Weg uns noch führen wird.
Ein anderes Beispiel stammt von Byron Katie: "Als der Mann mit der Pistole auf mich zielte, und mir drohte abzudrücken, dachte ich mir nur, wie groß sein Leid sein müsste, und ich wünschte ihm vom ganzen Herzen, dass er sich davon befreien möge."
Was diese Lehrer uns damit vermitteln möchten, ist, dass alles perfekt ist, auch das, was unserem Ego grausam, ungerecht, unfassbar oder himmelsschreiend erscheint.
Die Schöpfung mit all ihren Facetten und Aspekten anzunehmen, bedeutet nicht, dass wir uns vor dem Leid verschließen, oder nichts mehr empfinden.
Im Gegenteil. Wir lernen, dass so vieles uns das Herz bricht, um uns noch mehr für die Liebe zu öffnen. Um hinzusehen, um mitzufühlen, und gleichzeitig annehmen zu können, was ist. Weil die Liebe, die wir dabei hereinlassen, uns in allem erhält.
Das bedeutet auch, dass du in deinem Versuch, deinen Weg zu gehen, längst perfekt bist.
Das bedeutet, dass auch dein Scheitern perfekt ist, als Teil deines Weges.
Das bedeutet, dass wir immer wieder, jeden Augenblick aufs Neue, die Wahl haben, uns für das Licht, für die Liebe zu entscheiden. Auch wenn es nur die Liebe für uns ist, wenn wir wieder abgetaucht sind, in unbewusste Reaktionen. Wenn wir uns wieder mitreißen haben lassen, vom Strom der Außenwelt.
Du bist perfekt, weil du bist.
Du bist perfekt, weil du die Möglichkeit dazu hast.
Du bist perfekt, weil du - wie wir alle - bereits alles in dir trägst, das uns so unglaublich faszinierend macht.
Nimm nur deine Geburt her. Oder die Geburt deiner Kinder.
Geburten sind herzzerreißend, sie sind dramatisch, sie können grausam, wunderschön, blutig, atemberaubend, lebensgefährlich, absurd und einmalig sein. Und wenn dann das Neugeborene in deinen Armen liegt, weißt du was Perfektion ist.
Und all das bist du auch jetzt.
In Liebe,
dein Wolfgang
PS: Ich wünsche dir aus ganzem Herzen, dass du realisierst, wie perfekt du bist. Wie immer, freue ich mich von dir zu hören, unter wolfgang.neigenfind@visionbord.com, sei es, weil du mir etwas sagen möchtest, weil du eine Frage hast, oder dir ein Gespräch mit mir wünscht. Ich freue mich jedenfalls von dir zu hören.
PPS: Die erst 25jährige US-Sängerin und Songwriterin Lizzy McAlpine hat mir bereits viele gute Lieder auf meinen persönlichen Playlists beschert. "Older" ist 2024 auf ihrem letzten Album erschienen und sowohl ihre Stimme als auch die Melodie und die Lyrics spiegeln jene Ambivalenz und Nostalgie wieder, die wir empfinden, wenn wir ahnen, dass wir loslassen lernen, aber etwas in uns festhalten möchte. Und so ist der Song ein gelungenes Beispiel für Perfektion im Unvollkommenen.