"Vergebung bedeutet die Hoffnung aufzugeben, dass die Vergangenheit irgendwie anders sein könnte."
Dr. Gerald G. Jampolsky
Zwei Mönche waren auf Wanderschaft. Eines Tages kamen sie an einen Fluss. Dort stand eine junge Frau in einem wunderschönen Kleid. Anscheinend wollte sie den Fluss überqueren, doch da das Wasser sehr tief war, kam sie nicht ans andere Ufer, ohne ihr Kleid zu verschmutzen. Ohne zu zögern ging einer der Mönche zu der Frau, hob sie auf seine Schultern und watete mit ihr durchs Wasser. Auf der anderen Flussseite setzte er sie trocken ab. Nachdem der andere Mönch auch den Fluss überquert hatte, setzten die beiden ihre Reise fort. Nach etwa einer Stunde sprach der eine Mönch: ? Du weißt schon, dass das, was du getan hast, nicht in Ordnung ist? Wir dürfen keinen Kontakt zu Frauen haben. Wie konntest du nur gegen diese Regel verstoßen?? Der Mönch, der die Frau durch den Fluss getragen hatte, hörte sich die Vorwürfe des anderen ruhig an. Dann antwortete er: ?Ich habe die Frau vor einer Stunde am Fluss abgesetzt ? warum trägst du sie immer noch mit dir herum?? Viele Menschen gehen mit Vergebung genau so um, wie der Mönch in der Geschichte. Im heutigen Blogbeitrag möchte ich dir erklären, warum es so vielen Menschen so schwer fällt, zu verzeihen, was du tun kannst, um zu verzeihen, und welch wunderbare Folgen Vergebung für dein Leben hat.
Tatsächlich haben alle Menschen, die es nicht schaffen, sich selbst oder anderen zu verzeihen, das Problem, dass sie sich nicht von ihrer Vergangenheit lossagen können. Sie durchleben ihre Verletzung immer wieder in der irrationalen Hoffnung, die Vergangenheit doch noch ändern zu können.
Dabei tun sie so auf diese Weise genau das Gegenteil. Denn je öfter sie die Geschichte ihrer Verletzung aufleben lassen, desto tiefer wird die Wunde, und sie hat somit keine Chance zu heilen.
Deswegen bleiben auch die negativen Emotionen so lebendig. Es kann sogar sein, dass sie verstärkt werden, durch die ständige Wiederholung. Und auch wenn es für Außenstehende teilweise absurd oder nicht nachvollziehbar erscheint, warum eine Person so an ihrem Groll festhält, ist es für die betreffende Person eine ganz simple Logik.
Wenn dann auch noch die Person, der du vergeben sollst, du selbst bist, wird es für einige besonders schwierig. Das hat zwei Gründe: Erstens sind wir ja von klein von unserer Umwelt geprägt, im Glauben, etwas falsch zu machen. Und zweitens sind wir oft überzeugt, dass wir ja selbst alles unter Kontrolle haben könnten, wenn wir nur alles richtig machen.
Dabei ist beides ein Irrtum. Du bist weder das Mangelwesen, das dir andere versucht haben, unterzuschieben, noch hast du Kontrolle über das, was passiert in deinem Leben. Das bedeutet, ja, du machst immer wieder Dinge, die du als Fehler interpretieren wirst. Das bedeutet aber nicht, dass du es verhindern kannst, dass so etwas passiert.
Wenn du dir jetzt denkst, dass du Vergebung nicht brauchst, verstehe ich das. Viele Menschen leben auf diese Weise. Manche haben sogar ihren äußeren Erfolg auf Emotionen begründet, die genau das Gegenteil waren von Vergebung.
Wenn du aber an deinem Seelenheil, an deinem inneren Frieden interessiert bist, dann solltest du auf jeden Fall weiterlesen. Es gibt nämlich einen wesentlichen Grund, warum dein Verzeihen so wichtig ist. Und dieser Grund bist du!
Bei der Vergebung geht aus hauptsächlich um dich und deinen Frieden. Wir alle fühlen oder wissen es intuitiv, dass wir erst zur Ruhe kommen, wenn wir mit der Welt im Reinen sind.
Maya Angelou berichtete zum Beispiel davon, dass sie irgendwann erkannt hat, dass sie dem Mann verzeihen musste, der sie mit 7 Jahren vergewaltigt hatte, und das in jenem Moment, als sie viele Jahre später für ihn gerade kochte.
Wayne Dyer war lange Zeit auf der Suche nach seinem Vater, der seine Familie in Stich gelassen hatte, um ihn zu verprügeln. Bis er ihn gefunden hatte und vor seinem Grab stand. In diesem Moment realisierte er, dass er nur eine Chance hatte, glücklich zu werden, wenn er ihm verzieh. Und seit jenem Tag wurde er auch seine eigenen Dämonen und Süchte los.
Oder die Geschichte von jenem Jungen, der von seinem Vater immer wieder verprügelt wurde, und der nicht wusste, wie er damit umgehen sollte, bis er in der Vergebung seinen Weg fand. Doch am besten er soll dir seine Geschichte selbst erzählen:
Du siehst, es geht um dich. Selbst wenn du dir selbst verzeihen möchtest. Du bist nicht mehr das Kind, oder die Person von damals. Du hast dich entwickelt. Wir alle haben die Chance, jeden Tag neu zu beginnen. Und schon sind wir mitten in der Art und Weise, wie du Vergebung finden kannst.
Solltest du dich bereits fragen, wie du es nun schaffen kannst, dir selbst, oder auch anderen zu verzeihen, kann ich dich beruhigen, oder auch nicht. Es liegt jedenfalls an dir. Denn alle Wege, die ich dir nun zeige, können nur dann funktionieren, wenn du sie auch wirklich gehst.
Doch die gute Nachricht lautet: Auch für dich ist Vergebung möglich. Du brauchst nichts vergessen. Du sollst niemanden aus der Verantwortung entlassen. Es reicht völlig, wenn du dich auf das Verzeihen konzentrierst.
Ich stelle dir hier eine Übung vor, die ich aus verschiedenen Techniken kombiniert habe, die sich sehr gut bewährt haben. Du kannst sie natürlich für dich abändern, wie es für dich besser passt.
Du stellst dir einfach vor, wie du jenem Menschen gegenüberstehst oder -sitzt, gegen den du Groll hegst (das kannst natürlich auch du selbst sein!), und ihr redet miteinander.
Zuerst erzählst du, wie du dich fühlst und was du deinem Gegenüber alles vorwirfst. Dann versetzt du dich in die andere Person (oder dein früheres Ich), und lässt sie erzählen, was sie empfindet, was ihre Motive waren, was sie wollte. Sprich alles aus, was du empfindest oder fühlst.
Anschließend gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder du benutzt folgende Vergebungssätze, die du euch beide sprechen lässt:
"Ich vergebe mir, was ich dir angetan habe."
"Ich vergebe dir, was du dir angetan hast."
"Ich vergebe mir, was ich mir angetan habe."
Oder du benutzt die Sätze aus dem berühmten hawaiianischen Vergebungsritual Ho'oponopono:
"Es tut mir leid. Bitte verzeih mir! Ich liebe dich. Danke."
Du kannst auch beide verwenden. Zusätzlich empfehle ich dir als tägliches Ritual die abendliche Vergebung. Entweder du führst ein Tagebuch oder du führst dieses Ritual einfach in Gedanken durch. Dabei listest du all jene Menschen auf, bei denen du das Gefühl hast, das du ihnen verzeihen möchtest. Das könne auch ruhig immer dieselben sein.
Wie du wahrscheinlich bereits bemerkt hast, geht es bei all diesen Sätzen bzw. dem gesamten Ritual darum, zu 100% Verantwortung für dein Leben jetzt zu übernehmen. Denn solange die anderen oder dein früheres Ich als Ursache für dein jetziges Wohlbefinden vorschiebst, bist du dazu nicht bereit.
Wenn du aber einmal erfahren hast, wie befreiend es ist, dir die Verantwortung für dein Leben und dein Glück zurückzuholen, wirst du es nie wieder anders haben wollen.
Das ist aber noch nicht alles. Studien haben ergeben, dass Vergebung während der Meditation dazu führt, dass Menschen vom Beta in den Alpha Zustand ihrer Gehirnwellen eintauchen. Beta ist jener Bereich, den die meisten Menschen in ihrem Tag erleben. Dieser reicht von neutraler Aufmerksamkeit bis hin zu Anspannung, Stress und Angst. Im Alphabereich sind wir hingegen völlig entspannt, positiv gestimmt und am lernfähigsten.
Außerdem wirst du irgendwann an den Punkt kommen, an dem du niemandem mehr verzeihen musst. Und dann wird es erst recht interessant. Denn dann bist du bereit für ein völlig neues Bewusstsein.
Von nun an ersetzt nämlich Verständnis die Vergebung. Das bedeutet, du wirst niemandem mehr verzeihen müssen, weil du sie bzw. ihre Handlungen verstehen kannst. Wie das möglich ist?
Das funktioniert, weil du von nun an verstehst, dass wir alle Fehler machen und Gründe für unser Handeln haben. Du verstehst, dass Menschen, die anderen Leid zufügen, selbst Gefangene ihres Leidens sind, das sie nach außen tragen. Du verstehst, dass alle Menschen deiner Liebe wert sind, selbst wenn sie vom Weg abgekommen sind.
Und du verstehst, dass Vergebung ein Geschenk ist. Ein Geschenk, dass du dir jederzeit machen kannst. Und das von nun an für immer dein Leben bereichern wird.
Ich wünsche dir, dass du den Weg der Vergebung für dich findest, oder bereits gefunden hast. Wenn du Unterstützung brauchst, oder Fragen hast, dann schreibe mir einfach auf wolfgang.neigenfind@visionbord.com. Wir können uns auch gerne zu einem unverbindlichen (virtuellen) Gespräch treffen. Ich freue mich, von dir zu hören.
Alles Liebe,
dein Wolfgang
PS: Der 2006 erschienene Song "Dig" der US-Band Incubus stellt klar, dass es eigentlich nicht wir sind, die Dinge tun, die andere oder wir selbst uns verzeihen müssen, sondern unser Ego. Und auch wenn es unser Ego ist, das immer wieder das Kommando übernimmt, so sind wir alle viel größer und wunderbarer, und das muss nur wieder freigelegt werden. Manchmal ist es eben gut, wenn es jemand in deinem Leben gibt, wie Freunde oder Familie, die mehr in dir sehen können, als du gerade selbst dazu imstande bist.