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"Er nennt's Vernunft und braucht's allein, nur tierischer als jedes Tier zu sein."
Johann Wolfgang von Goethe (Faust)
Der irische Satiriker Jonathan Swift hatte entweder prophetische Fähigkeiten, oder er war einfach ein sehr guter Kenner menschlicher Dummheit, als er bereits vor 300 Jahren jenes Szenario zu Papier brachte, dem wir gerade entgegensteuern. In seinem berühmten Werk "Gullivers Reisen", das leider hauptsächlich als verstümmeltes Kinderbuch in Erinnerung blieb, zeigte er sehr anschaulich, dass es nicht um den Inhalt, sondern das Prinzip geht, das Menschen soweit bringen kann, gegeneinander in den Krieg zu ziehen.
Denn die Bewohner von Lilliput kämpfen gegen die Menschen aus Befluscu über die wichtige Frage, an welcher Seite die Frühstückseier aufgeschlagen werden müssen. Eigentlich sollten wir über soviel Eifer nur lachen. Siehst du dich hingegen in der heutigen Welt um, wirst du bemerken, dass wir drauf und dran sind, ähnlich unüberbrückbare und mindestens so bedeutende Differenzen bewältigen zu müssen.
Da stellt man sich schon die Frage: "Wie konnte es soweit kommen?" bzw. "Wie soll es weiter gehen?" Und genau mit diesen Fragen möchte ich mich heute auseinandersetzen.
Als vor Jane Eliott vor über 50 Jahren angesichts der Ermordung Martin Luther Kings demonstrierte, wie willkürlich und banal Angst von uns Besitz ergreift, hätten wir es längst wissen müssen. Angst ist unbelehrbar.
Einen Tag erhielten alle braunäugigen Schüler*innen einen Kragen umgehängt, und dann erklärte Elliott den anderen, warum Personen mit braunen Augen minderwertig, dumm und zu nichts zu gebrauchen zu seien. Und am Tag darauf drehte sie das Spielchen um, und es ging den Blauäugigen an den Kragen. Das Interessanteste: Es klappte immer wieder. Obwohl es dieselben Kinder waren.
Wenn du die letzten zwei Jahre Revue passieren lässt, wirst du schnell bemerken, dass auch Erwachsene sehr leicht in Sachen Angst zu konditionieren sind. Während in der Pre-Covid Ära noch Vermummung im öffentlichen Raum zu gesteigerter Aggression aufgrund geschürter Ängste im Zusammenhang mit Terrorismus geführt hat, gehört jetzt schon eine gehörige Portion Mut dazu, eine Ubahn ohne Mundschutz zu betreten.
Warum ist das so?
Sobald Angst unser Verhalten bestimmt, werden viele Menschen empfänglich für Autoritäten, die ihnen sagen sollen, was sie zu tun haben. Menschen, die Macht ausstrahlen, das Sagen haben, oder richtig gekleidet sind, konnten bereits in unzähligen Auflagen im sogenannten Milgram-Experiment beweisen, dass sie andere sogar schnell dazu bringen können, fast alles für sie zu tun. Selbst wenn sie dabei in Kauf nahmen, anderen zu schaden.
Das Gefühl der Ohnmacht, führt bei vielen Menschen automatisch zu passiver Verantwortungslosigkeit, die sehr leicht zu manipulieren ist. Wenn dann auch noch ständig die Regeln verändert werden, bzw. neue Verordnungen erlassen werden, mit gleichzeitiger Strafandrohung, kapitulieren viele Personen sehr schnell, aus Angst vor negativen Konsequenzen. Diese gelernte Hilflosigkeit führt schließlich zu nur noch mehr Hörigkeit gegenüber Autoritäten.
Wie heißt es so schön in Kafkas "Der Prozess":
?Richtiges Auffassen einer Sache und Mißverstehn der gleichen Sache schließen einander nicht vollständig aus.?
Anonymität als Vorschub von Verantwortungslosigkeit der Weltpolitik ist wahrlich kafkaesk. Der unglaubliche Wust an einander widersprechenden Formulierungen, die ohnehin niemand gesagt haben möchte, weil ja niemand haftbar sein will, sucht in der Geschichte seinesgleichen.
Doch nehmen alle Beteiligten sehr gern in Kauf, dass Verunsicherung und Angst Teil der Industrie werden. Ist ja im Prinzip nichts Neues. Auch der Verkauf der meisten anderen Produkte funktioniert auf Basis der Verunsicherung des Selbstwerts der Konsumenten, auch wenn die Politik das vielleicht nicht so im Sinn hatte.
Das Ganze erinnert ein wenig an die sozialen Medien, die auch gute Absichten hatten, und dann, als sie merkten, was sie verbrochen hatten, doch gerne am Kuchen weiternaschen wollten. Schließlich sind - siehe oben - verunsicherte und verängstigte Menschen auch gehorsame Staatsbürger.
Getaucht in utilitaristischen Zuckerguss heiligen die Mittel dann irgendwie den Zweck. Geht es ja um das Wohl der Mehrheit. Die Zeiten des Luxus, in denen wir stolz darauf waren, die Anliegen der Schwächeren und Minderheiten besondere Beachtung zu schenken, scheinen nun langsam zu Ende zu gehen. Schließlich hatten ja alle genügend Zeit, sich für die richtige Seite zu entscheiden.
Dass das Prinzip der Mehrheit ein menschenverachtendes sein kann, wissen wir in Österreich und Deutschland allzugut. Leider gibt es diese Achillesferse der Demokratie nachwievor. Doch noch nie geriet sie so sehr zu klaffenden Wunde, als in einer Zeit, in der das Primat der Polititk zum Fremdwort für alle wurde.
So scheuen die sogenannten Verantwortungsträger nicht zurück den Brand der Angst zu entfachen, wollen aber mit der flächendeckenden Zerstörung in den Seelen der Menschen nichts mehr zu tun haben.
Elias Canetti versuchte uns schon vor 60 Jahren vor dem Eigenleben der Masse zu warnen. Vor allem, wenn diese von der Pandemie der Angst infiziert wurde.
?Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes. ?
schreibt Canetti treffend in Masse und Macht. Ich bin geneigt zu ergänzen: Und wenn er nichts mehr findet, kann er immer noch dafür sorgen, dass wir einander entfremden.
Schon lange geht es nicht mehr um die Gesundheit. Es geht um die Angst. Um die grundlegenden Versäumnisse unseres Daseins, die uns als Panik vor dem Ausgelöscht werden, einholen.
Existentielle Bedrohung ist kein Kindergeburtstag. Da ist keine Zeit für Nuancen und Details. Deswegen ist ein dualistisches Weltbild des Entweder-Oder, des Schwarz und Weiß, viel praktischer.
Populisten aller Länder haben es uns lange genug vorexerziert. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. So lautet das neue Prinzip menschlichen Aufeinandertreffens, vor allem im öffentlichen Kontext.
Und warum sollte man nicht den Arm des Gesetzes nutzen, wenn man ihn schon zur Verfügung hat. In Zeiten, in denen sogar Redakteuere - angeblicher - Qualitätszeitungen zur Diskriminierung aufrufen, fällt es Regierungen nicht gerade schwer, subtil den Druck zu erhöhen, während ihre Vertreter beteuern, genau das Gegenteil anzustreben.
Dabei ahnen bereits alle Beteiligten, dass die profundesten Fragen von unserem Verstand nicht beantwortet werden können. Doch das Herz oder gar die Liebe scheinen in öffentlichen Kategorien ja nicht einmal auf.
Nein, es ist doch die Vernunft, die wir uns als intelligente Menschen auf die Fahnen geheftet haben. Auch wenn uns Goethe bereist vor über 200 Jahren gewarnt hat, dass Vernunft nicht Vernunft sein muss, beweisen wir immer wieder aufs Neue, dass Angst nicht aus Angst lernen kann.
So verhallen die Rufe nach dem "Niemals vergessen" genauso ungehört, wie die Lehren des Dr. Faust. Weil wir nicht bereit sind, zu erkennen, dass das, was wir gern als Vernunft vorschieben, als Vorwand für unser Handeln, nichts anderes ist, als rationalisierte Angst.
Freud hätte seine Freud mit uns. Was für eine Verkehrung ins Gegenteil. Doch immerhin verstehen wir jetzt vielleicht, wie es möglich war, dass im Namen von Jesus Christus, so viele Menschen abgeschlachtet und geächtet wurden. Sorry, ich habe ja ganz vergessen, dass Angst nicht lernfähig ist.
Doch genau das ist es. Wenn wir uns eingestehen, dass eine Welt der Angst nicht fähig ist zu lernen, Brücken zu bauen, eine lebenswerte Zukunft zu generieren, dann ist das vielleicht ein erster Schritt.
Und da kommst du ins Spiel. Ja du. Solltest du noch nicht innerlich resigniert haben, oder vor Angst zusammengerollt auf dem Küchenboden liegen, kommt hier meine Bitte an dich:
Lass dich nicht von der als Vernunft getarnten Angst pathologisieren und lähmen. Du kannst jeden Moment in die Gegenrichtung der Liebe gehen. Sie ist die einzige Basis einer Welt, die eine lebenswerte Zukunft bieten kann.
Du würdest dich ja auch nicht von deinen Freunden oder Mitmenschen abwenden, nur weil sie Helene Fischer hören, oder Fast Food lieben, und du nicht.
Du wirst bemerken, dass deine Mitmenschen faszinierend und liebenswert sind, unabhängig von dem, was sie so sagen oder tun. Außerdem wird dir auffallen, dass du viel mehr mit ihnen gemeinsam hast, als euch trennt. Denn gerade jene Aspekte, die du als so negativ empfindest, sind vielleicht jene, die eher von dir kommen, als von deinem Gegenüber.
Geh auf all deine Mitmenschen zu. Sie sind es allemal wert. Und sie haben alle deine Wertschätzung und deinen Respekt verdient. Und vergiss dabei nicht auf dich selbst.
Denn dann kannst du dazu beitragen, dass die Masse der Angst nicht kritisch wird, sondern wir vielleicht sogar den Turnaround hin zur Liebe schaffen. Es liegt an dir.
Alles Liebe,
dein Wolfgang
PS: Die nicht sonderlich beachtete Bandfusion eines bekannten TV Moderators und des Bassisten von "Wir sind Helden" namens "Gloria" ist für mich eindeutig ein Beleg dafür, dass Mehrheit nicht unbedingt die interessanten Inhalte produziert. Ihre Melodien und Lyrics sind einfach nur wunderbar. "Der Pilot" braucht eigentlich dementsprechend keinen Kommentar. Lass es einfach auf dich wirken, und du wirst wissen, was ich meine.