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Wenn du schon mehr von mir gelesen hast, dann weißt du bereits, dass ich Erziehung durch Beziehung ersetzen möchte, weil Erziehung fast nur mehr als verkommenes Machtinstrument gebraucht wird. Heute möchte ich dir die heutige Elterngeneration als Beweis vorlegen, dafür, warum Erziehung für uns alle eine Sackgasse ist. Alle Eltern von heute sind ja selbst erzogen worden. Deswegen liefert die aktuelle Gesellschaft ein ausgezeichnetes Beispiel für die Tauglichkeit klassischer Erziehung. Und ich kann dir gleich vorweg sagen, dass der Befund nicht gerade rosig ausfällt.

Die Braven

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Egal ob Baby Boomer, Generation X, oder sonstige Buchstaben, wenn es ein durchgängiges Merkmal für die Erwachsenen der letzten Jahrzehnte gibt, dann ist es Gehorsam.

Während in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts alles und jeder in Frage gestellt wurde, Protestmärsche, alternative Lebensentwürfe und Revolutionen ausgerufen wurden, kam es seit den 80er Jahren zu einem gesellschaftspolitischen Tiefschlaf, aus dem wir bis heute nicht erwacht sind.

Weder Klimakatastrophe, Krieg, Bildungsnotstand, Pandemien, noch Wirtschaftskrisen scheinen uns aus der Lethargie zu reißen. Das einzige, das wir vorbildlich tun, ist, zu gehorchen. Was auch immer von der Politik und Wirtschaft verordnet wird, es wird relativ schnell und ohne große Diskussionen hingenommen. Dieser unterwürfige Gehorsam geht sogar soweit, dass kritische Stimmen sofort denunziert und öffentlich angeprangert werden. 

Diese Misere hat uns eindeutig die gute "Kinderstube" eingebrockt. Schließlich wollten ja unsere Eltern immer, dass wir brav sind, und genau das tun, was man uns sagt.

Verantwortung gesucht

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Dort wo Gehorsam sich breitmacht, gibt es für Verantwortung keinen Platz. Was für eine Ironie: Gerade jene Eltern- und Erziehergeneration, die ständig betont, dass wir kritisch bleiben und keine faschistischen Tendenzen aufkommen lassen dürfen, lässt selbst genau jene Tugenden vermissen, weil sie genauso empfänglich für Gehorsam und Manipulation ist, wie die Nachkriegsgeneration.

Verantwortung wird heute hauptsächlich bei anderen gesucht, auf keinen Fall bei sich selbst. Außerdem geht es dabei meist um die Schuldfrage, also durchwegs um negative Zusammenhänge. Wenn du jemanden fragst, ob er etwas verändern möchte, sagen die meisten nur: "Ich? Wieso ich? Ich habe doch nichts zu sagen!" Nur, dass diese Aussage von allen kommt, selbst Politikern.

Es ist ja auch kein Wunder. Schließlich wurde und wird dort wo erzogen wird, Verantwortung zwar gepredigt, aber nicht gelebt. Das heißt, sie wird zwar immer wieder als hehres Ziel beschworen, aber Kindern und Jugendlichen wird es immer schwerer gemacht, tatsächlich Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.

Es ist ja auch  ziemlich nervig. Kinder, die anfangen, eigene Ideen zu haben, die ihren eigenen Weg gehen möchten, machen nur Ärger und stören. So etwas können wir in unserer Gesellschaft nicht brauchen. Eltern müssen ja auch funktionieren. Deswegen sollen Kinder unauffällig ihren Job machen, und nicht alle Abläufe durcheinanderbringen.

Kein Plan

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Apropos Abläufe: Das Funktionieren wurde still und heimlich zum Maß aller Dinge erklärt. Und so genießen wir unseren Wohlstand nicht, indem wir z.B. weniger arbeiten. Nein, wir arbeiten sogar mehr, weil wir dann noch mehr kaufen können und auf diese Weise noch besser funktionieren können.

Sozusagen im Vorbeigehen wurden alle anderen Werte in den letzten Jahrzehnten zunehmend aufs Abstellgleis gedrängt, oder in Verruf gebracht. So ist Bildung heute Luxus für Intellektuelle, Spiritualität ein Hobby für esoterische Spinner, Integrität ein nicht zu verstehendes Fremdwort, Familie wurde zum Stressfaktor, und Liebe zum unrealistischen Traum.

Zurück blieb eine Menschheit, die keinen Halt mehr findet und nicht weiß, woran sie sich orientieren soll. Man hatte ja keine Möglichkeit, authentische Werte zu entwickeln, in einer Welt der Anpassung und Uniformität.

Kein Platz für Kinder

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In einer Gesellschaft, in der zwischenmenschliche Werte nicht gefragt sind, scheint auch die Kindheit ihren Platz zu verlieren. Denn kaum hatten Kinder ihre Rechte erworben, wurden sie zunehmend zur Belastung erklärt. So geraten viele Erwachsene und ganz besonders Frauen in die Zwickmühle, Kinder haben zu müssen, aber gleichzeitig nicht zu viele, weil man ja sonst nicht mehr produktiv sein kann.

Das führt zu der absurden Situation, dass Frauen kritisiert werden, wenn sie keine Kinder haben, und dann wiederum schief angeschaut werden ab dem dritten oder gar vierten Kind.

Und so leben wir in einer Gesellschaft, die Kinder hochleben lässt als Idee und vor allem als Konsumenten und Zielgruppe, aber sie gleichzeitig nur als notwendiges Übel toleriert, wenn es um die Produktivität ihrer Eltern geht. Elternteilzeit und Karenzurlaub werden ja nachwievor nicht gern gesehen.

Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, suchen alle Beteiligten nach schnellen Lösungen. Und da besinnen sich plötzlich alle wieder auf die gute, alte Disziplinierung, oder schöner formuliert, Erziehung.

Sanktionen, klare Grenzen, Testungen, oder Therapien inkl. Medikamenten klingen wie das Wundermittel, das uns Eltern helfen soll, uns nicht wirklich in die Tiefen der Beziehungsarbeit - mit all ihren Konflikten - begeben zu müssen.

Du brauchst nur in eine Schule zu gehen, um schnell zu erkennen, dass dort nur so mit Sanktionen wie dem berühmten "Minus", Klassenbucheinträgen, Notendruck, oder Verhaltensvereinbarungen um sich geworfen wird.

Das harte Leben

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Die Kinder sollen ja schnell begreifen, dass das Leben kein Kindergeburtstag ist. Sie dürfen zwar noch spielen, aber sie  sollen  gleichzeitig so früh wie möglich verstehen, dass irgendwann die harte und kalte Realität sie einholen wird. Erwachsene sind ja auch unzufrieden, unglücklich und gestresst. Warum ihnen etwas vormachen? Früher oder später müssen sie ja auch ins Hamsterrad springen.

Distanz wird dabei großgeschrieben, auch ohne Corona. Das ist nämlich professionell. Bis heute haben all meine Vorgesetzten vergeblich versucht, mir diese Einstellung aufs Auge zu drücken.

Man könnte meinen, die Gesellschaft in der Pandemie war das Wirklichkeit gewordene Ideal von Rechtschaffenheit und Ordnung. Es wurde standardisiert, verordnet, bewertet, geregelt, gemessen, sanktioniert und dies alles ohne störende Naheverhältnisse, sondern mit gebührlichem Abstand und Objektivität.

Irgendwie sollten wir uns in diesem nüchternen Kapitalismustraum ja wirklich pudelwohl fühlen. Schließlich erfüllen wir ja alle Kriterien von guter Erziehung. Wir sind brav, folgsam, niemand schert aus. Das Erziehungsziel, ein möglichst funktionierender Staatsbürger zu sein, wird von allen erfüllt.

Wir konsumieren mehr als wir benötigen. Und die Kinder werden auch auf Linie gebracht. Jetzt frage ich mich nur, warum so viele Menschen alles andere als glücklich sind? Haben wir nicht brav alle Hausaufgaben gemacht? Haus, Familie, Job, alles da. Und jetzt?

Die Welt verändern

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Donald Trump als US Präsident war und ist keine Überraschung, sondern ein Spiegel unserer Welt. Wenn wir nicht bald daran gehen, unser Bewusstsein zu verändern, wird es nicht gerade einfacher für uns werden.

Dabei hätten wir alle bereits alles, was wir brauchen, um die Welt nachhaltig so zu verändern, dass es uns und dem Planeten gut geht. Dies können wir aber nur erreichen, wenn wir uns auf unsere wichtigste Ressource besinnen: unsere Beziehungen.

Die Menschheit hat sich nur so rasant entwickelt, weil wir voneinander gelernt haben. Unsere Technologie ist ein wunderbares Werkzeug, das aber gleichzeitig mit Werten verbunden werden muss, die uns in eine positive Zukunft bringen können.

Nicht Distanz und Erziehung sind unsere Zukunft, sondern echte Beziehungen, die uns einander wieder näher bringen. Und das ein Leben lang.

Wir brauchen keine folgsamen und funktionierenden Bürger, die nicht bereit sind Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen.


Wir brauchen authentische Menschen, die eigenständig denken und nicht gehorchen.


Wir brauchen Kinder, deren Standpunkt genauso als wertvoll erachtet wird, wie der von Erwachsenen.

Wir brauchen Beziehungen auf Augenhöhe, von denen alle Beteiligten gleichermaßen lernen und profitieren können.  

Dies ist nur möglich, wenn wir uns darauf besinnen, einander bedingungslos zu unterstützen, wertzuschätzen und unsere Gemeinsamkeiten und Differenzen in Stärken zu verwandeln.

Vielleicht schaffen wir es, eine Generation dabei zu unterstützen, mit einem Bewusstsein von Kooperation und Wertschätzung tatsächlich die Welt zu verändern. Den ersten Schritt dazu können wir bereits jetzt tun, indem wir damit aufhören, zu erziehen, und uns endlich auf Beziehungen zu allen Mitmenschen einlassen. Angefangen bei unseren Kindern.


Solltest du dabei noch ein paar Gedankenanstöße und Inspiration brauchen, verweise ich dich natürlich gerne auf mein Buch "Familienpuzzle", indem es auch darum geht, von Erziehung endlich hin zu Beziehung zu kommen, für eine Generation, die wieder gerne bereit ist, Verantwortung zu tragen. Du kannst das Buch gerne bei mir beziehen, unter visionbord.com/familienpuzzle

Alles Gute auf deiner Beziehungsreise. Ich freue mich, wie immer, über Rückmeldungen, unter wolfgang.neigenfind@visionbord.com, oder in den Kommentaren. Wenn du möchtest, können wir uns auch gerne unverbindlich zu einem (virtuellen) Gespräch zusammensetzen, damit ich dich besser bei deinem Weg unterstützen kann.

In Liebe,

dein Wolfgang

PS: Das Duo GLORIA, das sich aus dem Bassisten von "Wir sind Helden" Mark Tavassol und Klaas Heufer-Umlauf zusammensetzt, haben 2017 mit "Immer noch da" ein klares Statement zu einer Gesellschaft von Recht, Ordnung und Gehorsam abgegeben. Das Video spricht auch Bände.