Wenn ich als dreifacher Vater und Langzeitlehrer von einer Sache Bescheid weiß, dann ist es Kontrolle. Schließlich gehen doch alle Eltern und Pädagogen davon aus, dass es die Fähigkeit der Kontrolle ist, die darüber entscheidet, ob sie in ihrem Job etwas taugen oder nicht.
Ich will dich jetzt nicht völlig spoilern, aber du wirst bereits ahnen, wie die Geschichte endet. Doch immerhin lebt die Ratgeber- und Therapeutenbranche ganz gut von der Weigerung aller Beteiligten, die Realität anzuerkennen, wie sie ist.
Am putzigsten sind ja die Kollegen, die bereits seit Jahrzehnten überrascht, verzweifelt, entnervt, frustriert, ausgebrannt, wütend, und was auch immer ins Lehrerzimmer kommen, weil sie es nicht schaffen, über 20 Jugendliche fernzusteuern.
Wenn du Kinder zu Hause hast, wärst du mitunter sicherlich froh, wenn du wenigstens eines von ihnen dazu bewegen könntest, einfach das zu tun, was vereinbart wurde, was zur guten Kinderstube gehört, oder zumindest nicht noch mehr zum Chaos beizutragen.
Und schon sind wir mitten im Thema. Zeit mit allen feuchten Fantasien aufzuräumen.
Ein wenig lässt sich diese Geschichte an, wie die Idee, einen Regentanz zu veranstalten, und jedes Mal an den Rand eines Nervenzusammenbruchs zu geraten, weil das Wetter nicht auf dich hören möchte.
Ich habe keine Ahnung, wie das passiert ist. Aber irgendwann hat irgendwer die wahnwitzige Idee geboren, dass wir andere Menschen nach unserer Pfeife tanzen lassen könnten, so wie Marionetten an ihren Schnüren.
Abgesehen davon, dass selbst Pinocchio da nicht mitgemacht hat, kenne ich keinen einzigen Menschen auf dieser Welt, dem das gelingen, oder auch selbst gefallen würde.
Je mehr Zeit wir mit gewissen Personen verbringen, desto grandioser werden unsere Allmachtfantasien. Es beginnt bei unseren Partnern, bei denen wir irgendwann stillschweigend erwarten, dass sie funktionieren, wie wir uns das vorstellen.
Hauptsache wir sehnen uns alle gleichzeitig nach einem Menschen an unserer Seite, der selbständig denkt, spontan ist, lebensfroh und abenteuerlustig, und - verdammt noch mal - nicht so berechenbar.
Es gibt doch keine geilere Sexfantasie, als jene, wo uns sie oder er alle 5 Sekunden Anweisungen geben, dort weiter zu machen, fester oder zärtlicher, oder weiter oben, dann nach links, mehr mit Zunge, aber mit weniger Speichel. Bis selbst eine Aufbauanleitung von Ikea mehr nach Erotik klingt, als das, was im Schlafzimmer passiert.
Zu glauben, unsere Kinder kontrollieren zu können, ist für mich wirklich zum Brüllen. Denn nur weil du deine Kinder theoretisch von dir abhängig machen kannst, sie in den ersten paar Lebensmomenten auf dich angewiesen sind, daraus abzuleiten, über sie verfügen zu können, ist genauso realistisch, wie dir dein monatliches Einkommen mit Banküberfällen zu finanzieren.
Denn so wie es tatsächlich Menschen gibt, die sich am Raub versuchen, soll es auch Eltern geben, die ihren Kinder so viel Angst einjagen, oder sie sehr unter Druck setzen, bzw. sie erpressen oder bedrohen, dass sie davon überzeugt sind, dass Ding unter Kontrolle zu haben.
Das ist so wie die Geschichte aller großen Diktatoren. Die hatten auch die Idee, sich mit ähnlichen Methoden ewig über Wasser zu halten. Was daraus wurde, kannst du gerne nachlesen.
Und auch hier gab es doch irgendwann den Wunsch, dass unser Nachwuchs, eigenständig, voller Zivilcourage und selbst denkend in die Zukunft geht. Sollte das überall gelten, nur nicht im eigenen Wohnzimmer, weil es für Papa oder Mama bequemer ist?
Auch wenn ich nicht davon ausgehe, dass du an Größenwahn leidest, könnte man auf diese Idee kommen, würde man in die Köpfe so mancher Zeitgenossen steigen, wenn sie sich darüber wundern oder gar echauffieren, dass ihre Mitmenschen so gar nicht das tun, was sie gerne hätten.
Erinnert mich ein wenig an jenen pensionierten Politiker, der sehenden Auges gegen eine Glastür rannte, weil er es gewohnt war, dass jemand für ihn alle Wege frei machte.
Da verwundert es auch nicht mehr, dass für manche der Schritt nur mehr ein kleiner ist zur Paranoia, in der sich alle sogar gegen sie verschwören, um ihnen mit ihrer Unfähigkeit das Leben schwer zu machen.
Ich sage es dir an dieser Stelle nicht gerne. Aber auch das Ding mit der Gesundheit hast du alles andere als in deiner Gewalt. Wahrscheinlich wissen es ohnehin längst alle, wenn du dir ansiehst, wie viele mit ihrem Körper umgehen.
Doch das war nicht gemeint. Sondern der Umstand, dass es keinerlei Garantien gibt. Krankheiten und Unfälle können uns alle heimsuchen, unabhängig von unserem Vorleben. Und auch wenn alles eben noch in Ordnung war, ist uns allen klar, dass unser Leben im nächsten Moment schon wieder vorbei sein könnte.
Genauso steht es um alles, was um dich herum passiert. Geräte werden kaputt, auch wenn du sie noch so liebevoll gepflegt hast, Dinge gehen schief, kleine und große Katastrophen brechen über dich herein, dein Flug wird gestrichen, du wirst gekündigt, dein Mann verlässt dich.
Man könnte meinen, dass es fast schon rührig ist, wenn wir noch immer versuchen, an Kontrolle zu glauben. Und es immer wieder von Neuem probieren, damit wir wieder enttäuscht werden können.
Oder du beginnst damit, das Ganze völlig anders anzugehen.
Es wäre die einfache Variante, dort weiterzumachen, wo wir stehengeblieben sind, und die Liste mit der Unfähigkeit uns selbst zu kontrollieren, zu vervollständigen.
Lustigerweise haben die meisten von uns, vor allem auch jene, die von der Kontrollfähigkeit über die Welt überzeugt sind, kein Problem damit, sich selbst genau jene Eigenschaft zu entziehen.
Doch genau hier, meine Liebe, wollen wir ansetzen. Zu lernen, dich selbst zu kontrollieren. Denn dies ist nicht nur der einzige Bereich, bei dem es möglich ist, sondern obendrein auch noch jener, bei dem es sich in mehrfacher Hinsicht für dich lohnt.
Beginnen wir beim Fundamentalen. Der Atmung. Sie funktioniert im Prinzip ganz von alleine. Doch wundersamerweise kannst du sie, wenn du möchtest, kontrollieren.
Somit kann sie dir zum Anker werden, für alles, was da noch kommt. Glaube mir, du wirst sie brauchen. Soll heißen, dein Ein- und Ausatmen werden, wenn du sie lange genug darauf trainierst, die Wächter deiner Selbstkontrolle.
Setz dich gleich mal hin und beginne damit, tief ein- und auszuatmen. Zähle bei jedem Atemzug bis 3 oder 5, je nachdem, was dir angenehmer ist. Wenn du diese Übung für 5-10 Minuten täglich durchhältst, auch über den Tag verteilt, hast du bereits das Fundament gelegt für ein selbstbestimmtes Leben.
Als nächstes beginnst du damit, dich selbst zu beobachten. Als wärst du nicht alleine. Stell dir dafür einen Wecker auf deinem Handy, vielleicht jede zweite Stunde. Und jedes Mal, wenn der Alarm logeht, beginnst du damit, dich selbst zu beobachten, was du gerade tust, wie es dir geht, was in deinem Körper vor sich geht.
Trainierst du diese Achtsamkeit, wird sie irgendwann zu einer automatischen Verhaltensweise, die dich immer und überall begleitet, und dafür sorgt, dass du immer kontrollierter und dabei auch befreiter durch den Tag gehst.
Und schon sind wir bei der ersten wirklichen Hürde angelangt. Deine Gedanken. Sie manifestieren sich bei den meisten Menschen als dauerquasselnde Stimme in ihrem Kopf, sodass viele irgendwann gar nicht mehr bemerken, dass alles, was passiert, ständig kommentiert und bewertet wird.
Hast du dich aber im Atmen und der Achtsamkeit geübt, wird dir diese Stimme immer öfter auffallen. Mehr sogar, sie wird dir immer fremder erscheinen, als nicht zu dir gehörig. Was sie ja im Prinzip auch nicht ist.
Und somit bist du bereit, deinen Gedanken einfach nicht mehr einfach zu glauben, sondern sie zu reflektieren, ob sie nützlich sind oder nicht, bzw. sie gehen zu lassen, wenn sie dich nur belästigen wollen, mit zirkulären Ängsten, Sorgen und Überzeugungen, die alles andere als hilfreich sind.
Manche geben der Stimme ihres Egos deshalb auch einen Hundenamen, wie Fifi, um sich selbst daran zu erinnern, dass sie nichts anderes ist, als das Gekläffe, eines bedürftigen Hündchens, das du liebevoll auf seinen Platz verweisen kannst.
Schon sind wir bei der schwierigsten Übung angelangt. Deine Gefühle zu kontrollieren. Mir ist schon klar, dass dein letzter Anfall im Supermarkt, bei dem du dich auf den Boden geworfen hast, bereits ein paar Jährchen her ist. Trotzdem wirst du bermerkt haben, dass du immer wieder Dinge sagst oder tust, die du eigentlich so nicht vor hattest, bzw. im Nachhinein bereust.
Das lässt darauf schließen, dass dich deine Gefühle immer wieder in Geißelhaft nehmen, und manche von uns sogar so weit bringen, anderen Gewalt anzutun.
Bist du bereits daran gewöhnt, deinen Atem zu kontrollieren, dich immer wieder achtsam selbst zu beobachten, oder deine Gedanken links liegen zu lassen, wirst du bald bemerken, dass es eigentlich ein Leichtes ist, nicht mehr so emotional zu reagieren.
Du bemerkst nämlich früher oder später, dass es gar keine Verschwörung gibt, dass das Drama nur eine Seifenblase war, und du eigentlich nur deswegen deinen Affekten ausgeliefert warst, weil du unbewusst durchs Leben getaumelt bist.
Doch nun, wo du es auch schaffst, emotionalen Impulsen zu widerstehen, oder ihnen nicht nachzugehen, bist du vielleicht nicht mehr so euphorisch beim Geschenke auspacken, aber du bekommst eben auch keinen Heulkrampf mehr, keine Wutausbrüche, oder andere nicht gerade hilfreiche Zustände.
All die oben beschriebenen Schritte zur Selbstkontrolle lassen sich wunderbar begleiten von der Fähigkeit, dein Verhalten zu kontrollieren. Du wirst ja schon bemerkt haben, dass du dich immer wieder dabei ertappst, in Routinen zu verfallen.
Wir können dieses Bedürfnis dafür nutzen, bewusster und kontrollierter zu werden. Gehst du nämlich bewusster in deinen Tag, wird es Zeit, auch bewusste Rituale zu setzen, die dich dabei unterstützen, den Pfad des Bewusstseins nicht wieder zu verlassen.
Auch wenn das hier den Rahmen sprengen würde, möchte ich dir doch ein paar Impulse für nützliche Glücksroutinen mitgeben, die dich dabei unterstützen, nicht nur die Kontrolle zu behalten, sondern dich dabei auch noch gut zu fühlen.
Für mich hat sich bewährt, in der Früh oder am Abend dankbar zu sein. Beginne oder beende deinen Tag damit, über jene Dinge in deinem Leben nachzudenken, für die du dankbar bist.
Atem als Anker deiner Achtsamkeit lässt sich am besten etablieren, wenn du mindestens 10 Minuten pro Tag meditierst. Doch auch alle anderen Atemübungen sind wunderbar, solange du sie täglich durchführst.
Dein Repertoire an Glücksroutinen ist beliebig erweiterbar um Dinge wie Spaziergänge, Workouts, Yoga, Lesen, Tanzen, Singen, etc. Hauptsache du tust etwas, dass dich näher bringt zu dir selbst, und dich nicht wieder betäubt, wie Alkohol, zu langes Surfen in Medien, zu viel Streaming, usw.
Sobald du beginnst, dich bewusst selbst zu kontrollieren, wird es spannend, sobald du mit deiner Umwelt interagierst. Hab bitte anfangs noch Geduld mit dir, wenn es nicht sofort klappt, und du dich wieder dabei ertappst, Dinge zu sagen, zu denken, oder zu tun, die alles andere als beabsichtig waren.
Vergiss nicht, wie lange du dich darin geübt hast, unbewusst zu sein, bzw. die Kontrolle zu verlieren. Somit hast du dir auch alle Zeit der Welt verdient, sie dir zurückzuholen.
Doch schrittweise wirst du sehr wohl bemerken, wie sich nicht nur dein Verhalten, sondern dein gesamter Blick auf die Welt verändert. Wenn du nämlich aufhörst, ständig zu reagieren, sondern beginnst bewusst zu agieren, wird dir deine Umwelt auf einmal viel freundlicher und liebevoller erscheinen, und auch die anderen werden dich zunehmend auf diese Weise erleben.
Und auch wenn du immer wieder Rückschläge erlebst, bleib bitte liebevoll mit dir selbst. Es zahlt sich für dich aus. Alles, was du gelernt hast, kannst du wieder neu lernen, bzw. verlernen. Ich bin jetzt seit über 6 Jahren bewusst auf dem Weg, und mein Leben ist nicht mehr wiederzuerkennen. Vor allem nicht aus meiner Perspektive!
Ich wünsche dir alles Liebe und viel Erfolg dabei, dir dein Leben zurückzuholen. Solltest du Fragen haben, zögere nicht mir zu schreiben, unter wolfgang.neigenfind@visionbord.com. Brauchst du mehr Unterstützung bzw. meine Begleitung bin ich auch sehr gerne für dich da. Melde dich einfach bei mir für ein unverbindliches Gespräch. Denn diese Geschichte kann tatsächlich dein Leben verändern.
Alles Liebe,
dein Wolfgang
PS: Surfersänger Jack Johnson kommt in seinem 2017 entstandenen Song sehr kritisch daher, wenn er uns schlicht und einfach sagt, dass wir es einfach nicht kontrollieren können. Und auch wenn der eigentliche Anlass für den Song all das Plastik war, dass an Hawaiis Küste angespült wird, zieht der Song weitere Kreise, bis hin zu Familie und unserer Haltung zu uns selbst.