Nichts fesselt uns so sehr wie die Liebe. Selbst jene, die es sich nicht eingestehen wollen, würden doch gerne insgeheim wissen, wie das mit der Liebe funktioniert.
Umso erstaunlicher ist es, dass wir uns bei keinem anderen Thema so dumm anstellen. Man könnte fast meinen, die Menschheit möchte gar nicht dazulernen, wenn es um ihre Fähigkeit geht, mit sich selbst und anderen klarzukommen.
Ich kann dir zwar nicht versprechen, dass ich dich heute endgültig erleuchten werden. Was ich aber definitiv für dich tun kann, ist, mit all jenen Irrwegen aufzuräumen, die in unserer Gesellschaft nachwievor im Zusammenhang mit Liebe genannt werden, obwohl sie rein gar nichts mit ihr zu tun haben.
Eigentlich ist es ja blanker Irrsinn, die Nacht für den Tag zu halten, und sich dann zu wundern, warum wir nichts sehen. Doch egal wo du hinblickst, in der Literatur, in der Musik, im sogenannten Leben, überall wimmelt es von Geschichten über die Liebe, die nicht von ihr handeln.
Sind sie doch allesamt nichts anderes als Varianten der Angst eines bedürftigen Egos, das nach einer Bestätigung sucht, die es nicht erhalten kann. Denn dort wo die Furcht das Sagen hat, gibt es keine Liebe.
Es beginnt schon damit, dass wir von der Annahme ausgehen, Liebe erhalten zu müssen, um sie zu erleben. Also, im Prinzip genau das Gegenteil von dem, was Liebe wirklich ausmacht.
Immerhin hat sich unser Ego noch nie so angestrengt, sich derart gut zu verkaufen, wie bei dem, was die meisten Menschen so als Liebe bezeichnen.
So bringen wir es auf eine stattliche Liste mit Szenarien, die als die berühmten Liebesdesaster in die Geschichte eingegangen sind, und das obwohl sie mehr von Bedürftigkeit, Mangel und Angst handeln, als von dem, was sie vorgeben.
Und hier die Bestenliste:
"Ich brauche dich so sehr!" Klingt das nicht wie ein Junkie? Wie konnten wir nur auf die Idee kommen, so einen Zustand der Abhängigkeit auch nur im Ansatz mit Liebe zu verwechseln?
Die eigene Ablehnung mit dem armseligen Versuch zu kompensieren, dass dir eine andere Person all die Superkräfte verleiht, die du bei dir selbst partout nicht erkennen kannst, tut ja schon in der Beschreibung weh.
Meine Güte. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich in irgendwelchen Lokalen bis zur Sperrstunde rumgehangen bin, um auf die Erscheinung eines magischen Wesens zu warten, dass mich von all meiner selbst auferlegten Misere befreien möge.
Die Ironie an der Geschichte ist ja, dass es gut sein kann, dass deine Partnerin tatsächlich ein Engel ist, aber du damit ohnehin nichts anfangen kannst, solange du dich als nicht liebenswert empfindest.
Und so wird es immer gleich enden. Nämlich auf keinen Fall gut für dich.
Weißt du, woran du erkennst, dass jemand mehr am Opferstatus als an der Liebe interessiert ist? Wenn die betreffende Person irgendwann betont, wieviel sie gegeben hat, und nun endlich einmal auch an der Reihe wäre.
Egal ob in der beliebten Müttervariante oder auch in Paarbeziehungen gibt es immer wieder sogar Zuschauer, die das Ego der leidenden Kreatur noch anfeuern, dass sie viel zu gut und nett sei, und endlich auf sich schauen soll.
Dass diese Mangelhaltung mehr mit Verständnis von Dienstleistungen zu tun hat als mit Liebe, wird von den meisten gar nicht erkannt. Schließlich gehen sie ja ohnehin davon aus, dass man sich auch Liebe verdienen muss.
Zu kurz zu kommen, nicht erhört zu werden oder sitzen gelassen zu werden, laden ja förmlich dazu ein, vorzugeben, dass man ja bereit gewesen wäre für die Liebe, aber doch nichts dafür kann, dass die andere Person die Liebe ignoriert, zurückgewiesen oder missbraucht hat.
Wir alle haben es genossen in dieses Jammertal der Tränen hinabzutauchen, um der Welt zu beweisen, wie arm wir doch nicht waren. Das berühmte gebrochene Herz würde es nicht geben, ohne ein aufgeblasenes Ego, das wie ein winselndes Schoßhündchen darauf wartet, dass endlich wieder jemand mit ihm Gassi geht.
Außerdem gibt es nichts besseres für unsere Angst vor der Welt, als die Verantwortung für unser Leben anderen umzuhängen. Vor allem, wenn der Partner auch noch die Grausamkeit besaß, unsere Besitzansprüche mit Füßen zu treten, und sich einfach mit anderen vergnügt hat.
Niemand stellt sich die Frage, dass wenn bereits Besitzansprüche bei Dingen problematisch werden können, wir überhaupt auf die Idee kommen können, andere Menschen als Eigentum zu sehen, und das sogar noch als Liebe zu bezeichnen.
Diese Variante der Angst lässt sich auch gut dazu benutzen, es den Eltern heimzuzahlen, für alles, was sie dir nicht zukommen ließen, an Liebe, Aufmerksamkeit und Zuwendung.
Dazu passend kannst du das Spiel mit der eigenen Unzulänglichkeit auf ewig fortspinnen, indem du einfach nie wieder loslässt, und dich an eine Vergangenheit klammerst, die du ab jetzt für immer als Grund für dein Unglück vor dir hertragen kannst, wie ein selbsterwähltes Stigma.
Am besten du kombinierst deine bösen Eltern mit dem grausamen Ex und schon findest du dich wieder im lebenslangen Premium-Opfer-Status.
Was nämlich wunderbar an der Vergangenheit funktioniert, ist der Umstand, dass sie nicht veränderbar ist. Die Wunden dessen, was gewesen ist, kommen so ziemlich an das heran, was dein Ego als Paradies bezeichnet. Auch wenn es für dich das Fegefeuer ist.
Ja, auch die eine, große Liebe kann nur zum Bumerang werden. Das liegt daran, dass Exklusivität dort beginnt, wo Liebe bereits nicht mehr vorkommt.
Der Anspruch, dass es nur eine Person geben kann, die für dich die eine richtige ist, klingt nicht gerade nach Fülle, sondern eher nach einer drohenden Durststrecke.
Was, wenn du jetzt die eine große Liebe gefunden hast, ihr euch aber doch trennt. Heißt das, deine nächste Partnerin ist nur Ersatz? Oder dass du dich geirrt hast? Woher willst du dann wissen, dass jetzt alles stimmt? Warum sollten wir überhaupt 99,9999999% Prozent der Menschen deine Liebe vorenthalten?
Bevor du jetzt zum großen "Aber..." ausholst, lass uns zur Abwechslung einmal tatsächlich über die Liebe sprechen.
Es beginnt dort, wo wir bereits am Anfang standen. Nämlich bei dir. Und nur bei dir. Liebe gibt. Und so bist du die Person, die dieses Geschenk in die Welt bringen darf.
Die gute Nachricht dabei ist, dass Schluss ist mit Warten. Du kannst sofort loslegen. Du hast nämlich soviel Liebe in dir, dass sie für uns alle reicht. Und auf jeden Fall für dich.
Hast du schon einmal ein Baby beobachtet, dass wie die Sonne, einfach überall sein Strahlen verteilt, ohne dass du etwas dafür tun musstest, oder ihr euch gar erst zum ersten Mal seht?
Ich weiß schon, dass die Kunst des Liebens sich in der Beziehung zu bestimmten Menschen manifestiert. Doch gerade in diesen Nahebeziehungen kannst du davon ausgehen, dass alles, was als Normalität empfunden wird, genau das ist, was du nicht tun solltest.
Ansprüche an deinen Partner zu stellen, Erwartungen zu haben an ihn und eure Zukunft, dich als unfähig zu sehen, ohne den anderen leben zu können, all das sind eben das Gegenteil von Liebe, und nur Ausdruck deiner Angst, nicht genug zu sein.
Liebe kann nur bedingungslos sein. Sonst ist sie keine Liebe. Sie kann keine Ansprüche stellen. Sie gibt nur. Und das aus Liebe.
Liebe verschenkt sich jeden Moment aufs Neue. Liebe gibt sich hin. Einfach so.
All die Argumente, die du mir jetzt bringen könntest, warum das nicht klug wäre, sind nur in deiner Angst geboren. Angst, übrig zu bleiben, Angst zu verlieren, benutzt zu werden, einsam zu sein.
Bist du in der Liebe kennst du nur die Fülle. Selbst wenn niemand außer dir da ist. Es gibt nichts zu gewinnen, nichts zu verlieren. Und gerade jene Personen, denen du täglich deine Liebe schenken darfst, können ihre Liebe nur dann in deiner Gegenwart entfalten, wenn du sie dabei bedingungslos unterstützt, sich zu entfalten. Wenn du ihnen ihre Freiheit schenkst.
Ich habe 50 Jahre lang tief in mir, immer gewusst, dass Liebe der einzige Weg für mich ist. Selbst als mir vermittelt wurde, dass die Welt so nicht funktioniert, oder ich zu naiv sei, zu leichtgläubig, oder was auch immer.
Aber erst seit ein paar Jahren habe ich es gewagt, diese Liebe in mir, tatsächlich zu leben. Ich verabschiede mich sogar von meinen Schülern damit, dass ich ihnen sage, dass ich sie liebe.
Und je mehr Liebe ich an die Welt verschenke, desto mehr Liebe empfinde ich in mir.
Das Ergebnis ist, dass ich täglich erlebe, wie magisch sich Liebe entfalten kann. Meine Partnerin und ich kultivieren gemeinsam all das, was ich dir gerade geschrieben habe. Wir haben aufgehört Ansprüche zu stellen, Erwartungen zu haben, und beschäftigen uns viel lieber damit, einander bedingungslos zu unterstützen. Und was soll ich dir sagen, wir erleben nach über sechs Jahren jeden Tag das Wunder, dass unsere Liebe intensiver, inniger und schöner wird, obwohl das eigentlich nicht möglich ist.
Außerdem wissen wir beide, dass es nie darum gegangen ist, etwas zu beweisen. Wir erfreuen uns einfach an jedem Moment, der uns geschenkt wurde, in dem Wissen, dass uns das für immer zu besseren Menschen gemacht hat.
Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du die Liebe in dir zulassen kannst, ohne darauf zu schielen, was dann kommt. Die Erfahrung, dass deine Liebe genug ist, dass du genug bist, ist der Start für ein Bewusstsein, das in der Fülle zu Hause ist. Wie immer freue ich mich von dir zu hören, unter wolfgang.neigenfind@visionbord.com. Du kannst dich auch gerne an mich wenden, wenn du noch Fragen hast, oder Unterstützung brauchst.
In Liebe,
dein Wolfgang
PS: Billy Joels Song "So It Goes" ist eine wunderbare Momentaufnahme eines Mannes, der bereits empfindet, was Liebe wirklich bedeutet, aber letztendlich seine Angst ihn daran hindert, sie auch zu leben. Doch wengistens hat er ein Bewusstsein dafür, wie es um ihn steht, wenn er seiner Geliebten sein Herz anbietet, um es zu brechen.