"Das Böse kann nur durch Güte zwischen den Menschen bezwungen werden.
Güte erfordert Mut!"
Sergeot Uzan (der seinen Sohn bei einem Terroranschlag auf eine Synagoge 2015 verlor)
Der Rassismus ist wieder in aller Munde. Schließlich gab es einen weiteren Todesfall im Land der Freiheit der Waffen, der von allen Seiten medial instrumentalisiert wird. Die Empörung ist groß, die Spaltung des Landes noch größer.
Doch nicht nur in den USA werden Personen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft diskriminiert. Rassismus ist ein globales Phänomen mit unterschiedlichen Vorzeichen, das die gesamte Menschheitsgeschichte durchzieht.
Woran liegt das eigentlich?
Man könnte fast sagen, unser Gehirn ist schuld an der Misere. Es arbeitet nämlich so, dass es immer nach Mustern und Gemeinsamkeiten sucht, was sich in der sozialen Wahrnehmung schnell als Bumerang erweisen kann. So schließen wir, um schneller zu denken, oft von Einzelheiten auf das Ganze, und schon befinden wir uns mitten in einer Welt voller Vorurteilen, in der gewissen Gruppen scheinbar typische Eigenschaften als Diskriminierung um die Ohren fliegen.
Außerdem ist unser Hirn sehr angstanfällig. Es gibt viele Reize, die es in Alarmbereitschaft versetzen, weil sie potentiell als gefährlich erscheinen. Die Amygdala, unser Angsthirn, muss obendrein sehr schnell reagieren, deswegen ist es ein ziemlicher Schisser, wenn es um Dinge oder gar Personen geht, die von unseren Erfahrungen sehr abweichen, fremd wirken, sich anders verhalten, oder gar anders aussehen.
Wie du siehst, machst es uns unsere Denkzentrale nicht gerade leicht, offen für Neues und andere Kulturen zu sein. Erschwerend kommen dann noch ein paar ungünstige Faktoren dazu, die dem Homo Globalis endgültig den Rest geben.
Ein weiteres Phänomen, das Rassismus begünstigt, ist die sogenannte gelernte Hilflosigkeit. Diese entsteht dann, wenn Menschen das Gefühl haben, das, egal was sie tun, sie nichts bewirken können. Menschen, die immer wieder diese Machtlosigkeit erleben, sind besonders empfänglich für Feindbilder, die von polemischen Politikern in die Welt transportiert werden, weil sie dann ihre Frustration endlich auf andere Personen projizieren können.
Eine Umwelt, in der Gehorsam eine große Rolle spielt, ist ein weiterer guter Nährboden für eine rassistische Weltanschauung. Das liegt daran, dass Menschen, die "brav" das tun, was man ihnen sagt, keinerlei Verantwortung mehr für ihr Handeln übernehmen müssen. Das hat der Nationalsozialismus auf grausame Weise belegt. Zusätzlich konnte im berühmten Milgram Experiment mehrfach gezeigt werden, dass Menschen, die blind gehorsam waren, weil sie die Verantwortung beim Versuchsleiter sahen, bereit waren, sogar andere auf Knopfdruck zu töten. Während Menschen, die bei sich selbst die Verantwortung sahen, den Versuch abbrachen.
Zuguterletzt gibt es noch das Phänomen der Habitualisierung, oder auch Abstumpfung, das bei Berufsgruppen wie Ärzten eigentlich hilfreich ist, aber selbst dort unerwünschte Nebeneffekte aufweist. So fühlen sich immer wieder Patienten eher als Fälle, denn als Menschen. Und auch bei den Polizisten leistet die Abstumpfung nicht immer humane Dienste.
Das Problem besteht vor allem darin, dass der Kontakt zu anderen durch die zunehmende Abstumpfung verdinglicht wird, und somit Personen ihrer menschlichen Qualitäten beraubt werden. Auf diese Weise kommt es unweigerlich zur Dämonisierung von Menschen, oder Gruppen, die dann nur mehr als Objekte wahrgenommen werden. Dies passiert vor allem auch bei Menschen, die in ihrem Leben immer wieder mit Gewalt konfrontiert werden, und auf diese Weise abstumpfen.
Wenn du dir jetzt denkst: "Gott sei Dank bin ich nicht so!", dann muss ich dich leider darauf hinweisen, dass du drauf und dran bist, genau jene Haltung einzunehmen, von der du dich eigentlich distanzieren willst. Denn wenn du davon überzeugt bist, eine höhere, moralische Ansicht zu vertreten, dann ist das im Grunde genommen nichts anderes, als versteckter Rassismus.
Anders gesagt: Diskriminierung mit Diskriminierung zu begegnen ist absurd und nicht wirklich zielführend. Dasselbe gilt für Intoleranz, Spott, Beleidigung, Protestmärschen und jede andere Form von Gewalt.
Druck erzeugt immer Gegendruck. Anderen zu erklären, dass sie völlig falsch liegen, wird dich nicht weit bringen. Oder hast du es je geschafft, einem Menschen, der fremdenfeindlich ist, klarzumachen, dass alles, woran er glaubt, Schwachsinn ist, weil du ja das Licht der Wahrheit in dir trägst?
Wir könnten auch alle Rassisten ausfindig machen und wegsperren. Am besten in Konzentrationslager. Aber dann müssten wir uns ja auch gleich wegsperren. Oder, wir steigen endlich ab von unserem erhabenen Ross, um nach unserer Zivilcourage zu suchen, die uns schon die ganze Zeit ins Ohr flüstert, was zu tun ist.
Özlem Mekic kam als Kind mit kurdischem Hintergrund von der Türkei nach Dänemark, wo sie zur ersten muslimischen Abgeordneten des Landes gewählt wurde. Dieser Umstand führte dazu, dass sie zusätzlich zur alltäglichen Diskriminierung, sehr viele Hassmails erhielt. Doch am besten, du hörst dir ihre Geschichte und wie sie damit umging, selbst an, in ihrem wunderbaren TED Talk aus dem Jahr 2018:
Ich hoffe, du bist so beeindruckt von Özlems Beispiel wie ich. Ich habe dir die wichtigsten Erkenntnisse nochmals zusammengefasst.
Der erste Schritt besteht einmal darin, zu erkennen, dass du als Mensch nicht besser bist als andere, deine Position nicht wertvoller ist, du niemandem überlegen bist, wir alle dieselbe Menschenwürde besitzen.
Das fällt dir leichter, wenn du es schaffst zwischen Personen und ihrem Verhalten zu unterscheiden. Diese Differenzierung kann dir für dein gesamtes Leben sehr hilfreich sein. Für mich war sie als Vater und Lehrer ein wahrer Game Changer. Denn schließlich tust du selbst auch manchmal die sonderbarsten Dinge, und weißt vielleicht nicht einmal genau warum.
Die nächste Einsicht ist die, dass du verstehst, dass du mit allen Menschen mehr Gemeinsamkeiten hast, als dir bewusst, oder oft lieb ist. Sobald du dies realisierst, dann kannst du den anderen nämlich nicht mehr einfach dämonisieren.
Diese Gemeinsamkeiten findest du am besten heraus, wenn du ein Gespräch beginnst. Wenn du eine wirkliche Verbindung zu diesem Menschen eingehst, und erkennst, dass selbst jene, die grausame Taten begehen, auch liebenswerte Züge haben, bzw. du zu ihnen eine positive Verbindung hast.
Wenn du das verstehst, bist du auch bereit, zu erkennen, dass wir eigentlich nie den anderen fürchten, sondern das potentielle "Monster" in uns selbst. Deswegen wollen wir ja auf keinen Fall mit Menschen zu tun haben, die uns daran erinnern. Und je mehr Trennendes wir entdecken, desto scheinbar einfacher für uns.
Bist du aber demütig genug, zu realisieren, dass du dich vor niemandem fürchten brauchst, vor allem nicht vor dir selbst, steht dir der Weg offen, für eine Verbindung zu allen Menschen. Eine Verbindung in Güte, Freundlichkeit und Liebe.
Und dann eröffnet sich dir eine unglaubliche Welt voll Vielfalt, Magie und Neuem, das es sich lohnt, zu entdecken. Glaube mir, die Welt, und vor allem die Menschen auf diesem Planeten, haben es verdient, dass du ihnen eine liebevolle Chance gibst. Hab den Mut und sei ein Brückenbauer, eine Brückenbauerin wie Özlem!
Ich wünsche dir alles Liebe, und freue mich von dir zu hören unter wolfgang.neigenfind@visionbord.com
In Liebe,
Wolfgang